Die Kungersteine.
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„Es leuchtet Ihnen ein?"
„Ich wußte es längst."
„Herrlich!" ries Berghauer. „Die Erde hat Sie wieder! Steigen sie nur herunter von Ihrem zugigen Turm! Mitten hinein ins Marktgewühl. Studieren Sie die Männlein und die Fräulein... vor allem aber die Fräulein!"
„Herr Konsul —"
Ein humoristisches Lächeln umspielte Berghauers Lippen. „Ich weiß, ich weiß: Sie lieben ,die Menschen' nicht. Sie ist Ihnen unheimlich, diese sogenannte Menschheit'. Und auch mir — ich gesteh's — flößt sie so 6ir Zros ein stilles Grausen ein, wenn stein ihrem unanshaltsamen Drange nach Fortschritt Milliarden von uns Infusorien zu Brei tritt — wie nichts.
„Aber nun schauen Sie näher zu: die Einzelheiten, der Einzelne. Der Mensch. Wissen Sie, was in dem Wort Mensch' liegt? Leidensgefährte! Alle. Alle. Schauen Sie nur! Das ist, als wenn Sie durchs Mikroskop sehn — ein Wassertropsen — aber eine Welt wimmelnder Geschöpfe. Und jedes hat sein eignes Leben, sein Wünschen, seine Schmerzen, seinen Tod."
Hubert Schwarz nickte. Ja, hinein ins Leben! Menschen kennen lernen, studieren, die Scheu, den Stolz, die falsche Scham abwersen, die ihn einsam und fast menschenfeindlich gemacht hatte! Da streckt sich ihm eine warme, liebevolle Hand entgegen. Soll er die fortstoßen?
Der Konsul erhob sich. „Sehn Sie, Hubertus Schwarz, das alles sag' ich Ihnen, weil ich an Ihr Talent glaube. So! Nun den Mantel um! Geputzt sind Sie genug. Meine Frauenzimmer daheim sehn auch lieber Menschen' als geschniegelte Affen."
Und Hubert Schwarz that, was er selber vor einer Stunde noch für unmöglich gehalten hatte: er folgte dem Konsul in dessen Haus.
*
Die Fahrt in dem schönen Wagen, durch den Hellen Märztag war Hubert ein nie gekannter Genuß. Breit und glänzend lag der Strom, den blauen Himmel spiegelnd. Ein kleiner Dampfer fuhr stromaufwärts, wie in den Frühling hinein, mit seinem frischen, grünweißeu Kleid. Die Ufer schimmerten in den feinsten Tönen, zartes Silbergrau, braun, violett... die Ferne ein Dust.
Fast bedauerte er's, als der Kutscher plötzlich in ein Gartenthor einlenkte, über einen kiesbestreuten breiten Weg fuhr und vor einem schönen Sandsteinportal hielt.
Der Konsul selbst half Hubert ablegen. Dann nahm er ihn ungeniert bei der Schulter und schob ihn durch eine Flügelthür, die ein Zöschen geöffnet hielt, vor sich her ins Zimmer.
Aber das Zimmer war leer.
„Zum Kuckuck!" rief der Konsul, enttäuscht umherblickend, „ist denn niemand da?"
Er schlug die Portieren eines Nebenraumes zurück. „Lolo! Aber so komm doch!" ries er voll lebhafter Ungeduld. Und zu Hubert Zurückgewandt: „Die ist gerade wie Sie. Wenn die ihre Arbeit vorhat, kann das Haus brennen. Sie ist nicht wegznkriegen."
Durch die Portiere trat eine junge Dame, sehr schlank und hochgewachsen. Etwas Palmenartiges, sagte sich Hubert, überrascht durch diesen geschmeidigen Wuchs. Sie schien fast zu groß in ihrem glatten silbergrauen Kleide, das die zarten Linien der Gestalt graziös herausmodellierte.
Ein leichtes, zurückhaltendes Neigen des kleinen blonden Kopfes. Dann berührte eine weiche, kühle Hand die seine. Und so eine Hand! dachte er staunend. Wie die Brust einer Schwalbe, so leicht, weiß und weich.
„Da Hab' ich ihn euch also wirklich gebracht," rief der Konsul, vergnügt die Brille abnehmend und die Augen reibend. „Hier also, Nr. 1 — das ist Lolo. Auch eine... das heißt von Ihrer Gemeinde."
„Papa!" sagte die junge Dame leicht zurückweisend.
„Etwa nicht?" Er zwinkerte Hubert mit den Augen. „Sie verstellt sich! Weiber! PH!... Werden schon gute Freunde werden. Will mir derweil die andern zusammenholen. Lolo, repräsentiere!" Und er war mit großen Schritten hinaus.
„Also bitte!" sagte Fräulein Charlotte, mit einer vornehm gemessenen Handbewegung den Gast zum Sitzen aufsordernd. Von der begeisterten Aufnahme, die ihm der Konsul in Aussicht gestellt hatte, war in dem Wesen der jungen Dame nicht das geringste zu spüren.
„Der Papa hätte doch klingeln können," sagte sie. „Aber es dauert ihm immer alles zu lange. Nur nicht warten müssen. Sie werden sich ja auch gewundert haben, daß er Sie so ohne weiteres mitgeschleppt hat."
Mitgeschleppt? — Hubert fühlte sich fast beleidigt durch das Wort, den Ton, die entschiedene Art, mit der die junge Dame ihm dabei ins Gesicht sah.
„Nun," sagte er, Platz nehmend, „wenn ich nicht gern gekommen wäre, so sähen Sie mich nicht hier, mein Fräulein." Er fühlte, daß ihm das Blut iu die Schläfen stieg.
„Gern?" meinte sie kühl. „Doktor Wedekind erzählte doch, daß Sie sich mit Händen und Füßen gesträubt hätten, uns zu besuchen."
Sie hatte sich in das kleine Ecksofa ihm gegenüber gesetzt, lieber ihrem feinen Kops breiteten sich die langen grünen Wedel einer Phönixpalme. Das duftige Schleiergewirr einer Gruppe von Farnen gab ihrem leichtgekrausteu goldbraunen Haar einen bezaubernden Hintergrund.
Zum erstenmal erfaßte Hubert die ganze Feinheit dieses Hellen Gesichts. Die zierlich gebogene Nase, Mund und Kinn so delikat und energisch, die Haut blaß und klar. An dem ganzen Köpfchen nichts weichlich Verschwommenes. Jede Form fest und doch zart hingesetzt wie von Meisterhand. Und ein Leben in den Augen! — ganz hellbraunen Augen mit ein paar dunkleren Pigmentfleckeu in der goldigschimmernden Iris, die jetzt, wo das Licht ihr tief hineinschien, deutlich bemerkbar waren.
Und aus diesen sprühenden, fast feindselig auf ihn gerichteten Augen blickte ihn plötzlich etwas an, das ihm schmeichelte, ihn heimlich beglückte,