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Ueöer Land und Meer.
Auch heut blieb ihm nichts andres übrig. Er Zog sich eilig und doch mit der Sorgfalt an, die er, aus Selbstachtung, stets auf seinen äußeren Menschen verwendete. Da klopfte es.
Karl Wedekind! dachte er erfreut. Der gute Kerl batte sich seither nicht blicken lassen, und Hubert fürchtete schon, daß er ihn wieder mal auf längere Zeit verscheucht habe. Aus sein freundliches Herein zeigte sich aber ein fremdes Gesicht in der Thür — ein kräftiges, rundes, energisches Männergesicht, von einem kurzen, graugemischten Vollbart umrahmt. Der mächtige Schädel mit kurzgeschorenem silberglänzenden Haar wie mit einem dichten Fell bedeckt.
„Entschuldigen Sie," ries der Herr lebhaft, „aber es war keiner draußen, mich anzumelden. Da muß ich's schon selbst thun: Konsul Berghauer. Also Sie sind wirklich der Hubert Schwarz? Das freut mich ganz ungemein. Da Hab' ich mich doch neulich abends nicht getäuscht, als ich Sie mit unserm Freunde Wedekind unter der Straßenlaterne stehn sah. Sieh dir den an, Lolo, Hab' ich zu meiner Tochter gesagt, das ist der Dichter der ,Buße'."
Dabei hatte sich der Konsul ungeniert den „Griechischen" herangezogen und ohne weiteres Zer- moniell darauf Platz genommen. „Sie erlauben," warf er nur hin, schlug die Beine übereinander und öffnete den Pelz über der Brust. Seine Kleidung war bequem und ohne jede gesuchte Eleganz, aber vom feinsten Stoff.
„Ein merkwürdiges psychologisches Kunststück," sagte Hubert, der zu spät einsah, daß er einen Fehler gemacht, indem er dem Gast nicht gleich einen Stuhl augeboten hatte. Aber das Bewußtsein der armseligen Umgebung, die Beschämung über die Unordnung hatten ihn im ersten Augenblick sprachlos gemacht.
„Na, eigentlich einfache Kombination," erwiderte der Konsul. „Ich weiß, Sie leben hier. Sie sind ein Jugendfreund von Wedekind. Außerdem — Sie sehen nicht aus wie ,alle Leuteff Folglich war das ,Kunststück' nicht allzugroß. Na — und da Hab' ich mich gefreut, als der Wedekind mir Ihre Adresse geben konnte. Möchte Sie nun auch persönlich kennen lernen, nachdem ich mich jahrelang für Sie interessiert habe."
Er reichte Hubert die Hand, in einer unendlich einfachen, graben Art, bei allen guten Formen, die den Mann der besten Gesellschaft verrieten. Hubert fühlte sich warm berührt von der offenen Herzlichkeit des Mannes. Ja, es beschämte ihn, daß dieser so viel Aeltere zu ihm gekommen war.
„Sie haben sich zu mir bemüht," sagte er. „Ich wohne leider sehr hoch und sehr schlecht —"
„Macht nichts! Meine Beine sind, gottlob, noch gut im stände. Wenn man was Besonderes sehn will, muß man sich tummeln. Bin voriges Jahr erst noch auf den Vesuv geklettert, zun: drittenmal. Und hier komm' ich ja auch so gewissermaßen zu einem Vulkan. Hab' eine Eruption von Ihnen erlebt ... in Berlin . . ., daß mir heiß und kalt wurde. . . davon später. Der Wedekind übrigens wollt' erst nicht 'rausrücken mit Ihrer Adresse. Sagte so was, daß Sie zu stolz wären, zu mir zu kommen.
Nun, ich bin nicht stolz. Hab' mir's abgewöhnt. Bin höchstens darauf stolz, daß ich's nicht bin. Aber zu dem Standpunkt kommt man erst in meinem Alter. Drum bin ich also bei Ihnen. Aber ich sag's Ihnen gleich: ich habe schlimme Absichten" — er sah Hubert lächelnd an, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen — „ich will ein Attentat aus Ihre Freiheit begehn."
Hubert antwortete mit einer leichten Verbeugung, einem erwartungsvollen Blick.
„Ich will Sie entführen," sagte der Mann in seiner energischen Art. „Unten steht mein Wagen. Zu Haus warten meine Töchter, daß ich ihnen den seltenen Vogel bringe, der zu stolz ist, sich freiwillig auf unser bescheidenes Haus niederzulassen. Die Lotte ist extra daheim geblieben, läßt ihre Kopie in der Galerie eintrocknen. Wenn Sie mich im Stich lassen, krieg' ich saure Gesichter. Wollen Sie mir das anthun?"
„Herr Konsul," sagte Hubert, seltsam berührt, ja beinahe bewegt durch so viel Güte und Zuvorkommenheit, „ich habe die zwingendsten Gründe, die Ehre, die Sie mir erweisen, zu meinem schmerzlichen Bedauern — abzulehuen."
„Oho!" rief Berghauer. „Gut geredet! Also die wären?"
„Ich muß es vermeiden... das sage ich nicht etwa aus Bescheidenheit... in der Hinsicht halte ich's mit Goethe... ich weiß ganz gut, wer ich bin. . aber gerade deshalb, Herr Konsul. . . mein Stolz, mein Selbstbewußtsein..."
„Ehrlich gesprochen!" ries Berghauer warn:. „Sie sind mein Mann .. . Was noch?"
„Außerdem — ich bin so ganz aus meine Arbeit angewiesen — und nicht so bodenlos leichtsinnig, meinem Vergnügen..."
Berghauer streckte energisch abwehrend die Hand aus.
„Da sitzt er, der Irrtum nämlich. Lass' ich einfach nicht gelten. Bewundere, wie billig, Ihre Charakterstärke, aber... das sag' ich Ihnen na, ein Diplomat bin ich nicht — darf ich's sagen?"
Hubert nickte. Sonst hielt er's immer für eine Unverschämtheit, wenn jemand sich's herausnahm, ihm „seine Meinung" zu sagen. Unter der Firma hatte sich die gemeinste Bosheit, der blässeste Neid, die ohnmächtigste Eifersucht das Vergnügen gegönnt, ihr Gift gegen ihn zu verspritzen. Der Mann aber — so herzlich, so einfach, so väterlich . . . Wenn du den zum Vater gehabt hättest, durchfuhr es ihn, was wär' aus dir geworden!
Und frei und offen sagte Berghauer dem Dichter, was ihm an der „Buße" ausgefallen war. Es sei ihm alles zu sehr in's „Ueberlebensgroße" verzerrt. „Einfacher, natürlicher!" schloß er. „Sie mit Ihrem Talent, Sie müssen die Leute packen, daß sie sich die Seele aus dem Leibe heulen."
Hubert stand, mit dem Rücken an den Schreibtisch gelehnt. Er sah ernst und nachdenklich aus, doch nicht wie ein in seiner Eitelkeit Gekränkter. „Fahren Sie nur fort," sagte er mit der Sanftmut eines gebändigten Löwen.