Die Kungersteine.
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„Sie sind noch nicht reis für dich. Das war immer so, wenn ein Bahnbrecher kam. Erst schreien sie: .kreuzige!' dann .hosianna!'. Aber du hast schon deine Gemeinde. Das weißt du ja selbst. Der Konsul gehört dazu. Er bewundert dich . . . Ja, er bewundert dich," versicherte Karl treuherzig und nachdrücklich, als Hubert ungläubig die Achseln zuckte. „Und bei seinem Einfluß und seinen vielen Freunden — er hat sie ja, wie gesagt, in allen süns Weltteilen sitzen..." Wieder schien er einen Ausdruck zu suchen, der Zart und vorsichtig genug war, Huberts Empfindlichkeit nicht zu verletzen.
„ Er würde sich riesig freuen," fuhr er nach seinem langen Anlauf hastig heraus, „wenn du. . . na kurz und gut. . . morgen ... da kaufen wir ihn uns, nicht wahr?"
Hubert sah ihn an, als glaube er sich verhört zu haben.
„Ich?" fragte er dann langsam, „ich — zu .einflußreichen' Leuten lausen? Katzbuckeln, scharwenzeln, meine Sachen anpreisen?"
„Dummes Zeug! Wer spricht davon? Einfach einen Besuch machen."
„Nein," sagte Hubert mit großer Ruhe. „Du solltest mich doch genug kennen. So .hinten herum' einen Erfolg erschleichen..."
„Erschleichen!" Der verständige Karl wurde ganz wild. „Herrgott! Du weißt doch, wie's geht! Das Echte, das Gute, das Große braucht am meisten Zeit durchzudringen. Es schmeichelt ja den Leuten nicht, steigt nicht zu ihnen herab, will sie zu sich heraufheben. Wenn nun da einer kommt, der was gilt bei der großen Masse; wenn er dem und jenem sagt: .Da ist was Neues, Gutes! Das müßt ihr sehn!' Das ist doch noch kein Anpreisen!"
In einer ihm selber erstaunlichen Beredsamkeit blieb Karl noch eine ganze Weile bei diesem Thema. Huberts Stillschweigen, Nachdenken, Ueberlegen machte ihn immer Zuversichtlicher. Es war ja ganz unmöglich, daß dem die Sache nicht endlich einleuchtete.
Sie waren längst über die Augustusbrücke.
Karl hätte vor einer ganzen Weile abbiegen müssen. Aber ehe er seine Absicht nicht erreicht hatte, dachte er gar nicht daran, Hubert loszulassen.
Da blieb dieser plötzlich stehn. Sein Gesicht war finster und ablehnend.
„Wer war die junge Dame im Wagen?" fragte er.
„Wer anders als Fräulein Charlotte, die älteste Tochter," meinte Karl und fühlte plötzlich seine Ohren glühn. „Es ist übrigens noch eine zweite da. . . ein reizender Backfisch . . . überhaupt ein Haus, so sein und angenehm..."
„Den Backfisch schenk' ich dir vollends. Selbst die reifsten Weiber behalten stets etwas Unfertiges, Halbes. Menschen in höherem Sinn werden sie ja überhaupt nie. . . Und nun so ein grasgrüner, vorlauter Affe!"
Karl lachte, halb wütend, halb amüsiert. „Wer sagt denn das? — Vorlaut?"
„Sie sind's alle. Je weniger Mehl sie Zu mahlen haben, desto lauter klappern sie."
„Du hast eine ganz merkwürdige Art, das ,Weib' in Bausch und Bogen abzuthun. Weil du's nicht kennst!" sagte Karl, jetzt ernstlich böse.
„Kennst du irgend eine Frau so genau, wie ich Johanna?" fragte Hubert überlegen.
„Johanna!" ries Karl, „eine solche Ausnahme!"
„Der Typus des echten WeibeS. Ein Nichts ohne den Mann. Alles, was sie wurde, hat und weiß, kam ihr durch die Liebe. Durch mich. Sie ist mein Geschöpf."
„Sie hat Lehrgeld genug gezahlt — "
„Ja. Das Höchste, was das Weib für den Mann thun kann, hat sie für mich gethan. Weil sie weiß, daß ich ihr immerhin tausendmal mehr- gegeben habe: meinen Geist, das Verständnis für- höhere Genüsse. . .; ja, ihre eigne Seele Hab' ich herausgegraben aus Alltagswust und Weiberthor- heit —"
„Thöricht war Johanna nie — wenn du nicht ihre Selbstlosigkeit so nennen willst —"
Hubert hörte nicht.
„Drum bleib mir mit dem Fräulein Berghauer vom Leibe — und auch mit deinem Konsul, trotz seines .Adlerhorizonts'. Was soll ich bei den Leuten? Ich habe weder Talent, mich protegieren zu lassen, noch auch, mich .jungen Damen' angenehm zu machen."
„Gut!" sagte Karl ärgerlich.
Er drehte sich kurz um und wollte gehn. Da nahm Hubert herzlich seine Hand.
„Ja, du braver Kerl, meine Stacheln Hab' ich noch. Die sind noch nicht stumpfer geworden. Gewöhne dich nur wieder dran."
„Mit dir ist nichts anzufangen," brummte Karl. Aber er erwiderte doch den kräftigen Händedruck Huberts. Dann gingen sie jeder ihres Weges.
Etwa eine Woche danach, um die Mittagsstunde, saß Hubert grübelnd und verstimmt bei seiner Arbeit. Sie wollte nicht recht vom Fleck. Die Stimmung fehlte. Und je mehr er sich zwang und quälte, desto weniger wurde es das, was ihm vorschwebte. Hart, nüchtern, trocken folgten die Sätze aufeinander, ohne Leben und Wärme.
Das Frühstücksgeschirr stand noch aus dem Tisch. Das Zimmer war nicht aufgeräumt. Er hatte seine Wirtin, die heut etwas später gekommen war, als ihm paßte, heftig angesahren und sie hinausgejagt.
Zwischen Thür und Angel hatte sie ihm noch zugerufen, für die lumpige Miete könne er nicht beanspruchen, daß den ganzen Tag jemand Zu seinen Diensten sei. Das hatte ihn heftig gereizt.
Und nun saß er da, aus seiner warmen, fruchtbaren Stimmung herausgescheucht, ganz verzweifelt und so stumpf, daß er nicht einmal Zu lesen im stände war.
In solchen Stunden war ihm das Leben eine Qual. Er wäre Zufrieden gewesen in irgend einer Thätigkeit, die ihn von seinen Gedanken abzog, seine Hände, seine Muskelkraft, sein Gedächtnis beschäftigte. Seine einzige Rettung war dann, daß er sich draußen im Freien müde lief.