Heft 
(1897) 09
Seite
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Meber Land und Meer.

aber nicht halten. Morgen früh müsse er frisch sein bei der Arbeit.

Die beiden Freunde gingen wieder ein Stück Weges zusammen. Karl sah noch immer Johannas Gesicht vor sich. Er war schweigsam und versonnen.

Nun?" unterbrach Hubert ihn,wie findest du sie? Willst du uns jetzt noch mit der Philisterelle messen?"

Nein," sagte Karl.Ich will euch nur wünschen, daß euer Glück bald feste Gestalt annimmt... daß es von Dauer ist. . ."

Dauer?" erwiderte Hubert.Weißt du nicht, daß sie oft der größte Feind des Glücks ist? Das Leben erneut sich von Stunde zu Stunde. Nach ein paar Jahren find wir andre geworden, ohne es Zu wissen." Und er führte diesen Gedanken mit logischer Schärfe weiter aus. Wenn man ihn hörte, hatte er imm^ recht.

Mit einer wahren Angst ergriff Karl die Idee: wenn ihm Johanna auch mal im Wege ist, wenn ihre Liebe ihm eine Fessel wird ob er auch sie opfern würdedem Gotte in sich", wie er ihm Be­haglichkeit und Wohlleben und bürgerliches Ansehn geopfert hat?

Dummes Zeug! sagte er sich. Das wäre ja einfach Schurkerei. . .

Sie waren derweil in die Nähe des Zwingers gekommen. An der schmälsten Stelle der Straße, dem Prinzenpalais gegenüber, war der Gaul eines Pferdebahnwagens gestürzt. Und während viele Hände sich bemühten, dem Tier wieder aus die Beine zu helfen, hatte sich eine ganze Wagenburg dort an­gesammelt. Die Oper war eben beendet, und vom Theaterplatz kamen Droschken und Equipagen. Omnibusse und Pferdebahnwagen standen in Reihen hintereinander. Die Kutscher fluchten und schimpften, die Insassen der Wagen steckten ungeduldig und neu­gierig die Köpfe aus den Fenstern. Viel Volks hatte sich auf dem schmalen Bürgersteige angesammelt. Hubert und Karl kamen nur langsam vorwärts.

Plötzlich hörten sie neben sich ein rasches, leb­haftes Klopfen gegen die Glasscheibe einer Equipage. Erstaunt wandten sie sich um. Da sahen sie ein graubärtiges, lachendes Männergesicht neben einem reizenden Mädcheukops hinter dem Fenster.

Der Herr winkte voll Frische und Herzlichkeit. Seine Bewegungen, sein Ausdruck waren jugendlich kraftvoll und lebendig. Das Fräulein lächelte und nickte mit dem blonden Kops, um den ein weißer Spitzenshawl geschlungen war. Auch ihr Händchen, schlank und fein, in einem silbergrauen Handschuh steckend, hob sich grüßend mit dem Fächer. Dabei blitzte es an ihrem Handgelenk, als hätte ein Stern sich dorthin verirrt.

In diesem Augenblick entwirrte sich der Wageu- knäuel, der Kutscher tickte mit der Peitsche aus die Pferde. Das Bild war verschwunden.

Karl war stehn geblieben, wie vom Blitz getroffen. Er starrte dem Wagen nach, der längst nicht mehr zu sehen war. Da hörte er Hubert neben sich lachen.

War das ein Erkennen oder ein Verkennen?" fragte er.Du bist ja sitzt zur Statue entgeistert'."

Karl antwortete nicht gleich, doch ging er weiter, ganz mechanisch, und hielt das Gesicht noch immer von Hubert abgewendet, als sei drüben auf der Straße was Interessantes zu sehn.

Ein Wiederfinden war's," sagte er endlich mit einer merkwürdig beklommenen Stimme, in der allerlei mitklang.Ich wußte noch gar nicht, daß sie wieder hier sind."

Du scheinst ja vornehme Bekanntschaften zu haben," meinte Hubert mit leisem Spott.Wer sind denn die Leute?"

Berghauer. Konsul Berghauer."

Ah der?" machte Hubert langgedehnt.

Karl kehrte ihm mit einer heftigen Bewegung sein Gesicht zu. Es war dunkelrot, erregt.

Kennst du ihn?"

Wer kennt ihn nicht, den Allerweltskerl?"

Karl Wedekind sah aus, als wolle er Hubert wegen dieses Ausdrucks auf Pistolen fordern. Er beherrschte sich aber und sagte mit etwas un­natürlicher Gelassenheit:Allerweltskerl? Wieso denn?"

Weil er überall dabei sein muß, der Mensch. Fortwährend steht ja sein Name in der Zeitung. Wenn irgend was gegründet werden soll, in ,Humanität' scheint er ja besonders zu machen und in Kunst jeden Genres . . . Wie ein Mensch so vielseitig sein kann und so viele Interessen unter einen Hut bringen in seinem einen Schädel, das ist mir immer ein Rätsel gewesen."

Gar kein Rätsel, wenn du den Mann kennst. Er ist eben ein Mensch mit einem Adlerhorizont, ein Elitemensch . . . ein Mensch, der sein ,Kuh- schnappel', wo er zufällig zur Welt gekommen ist, deshalb noch nicht für ,die Welt' hält. Er ist in allen fünf Weltteilen spazieren gegangen. . . Kos­mopolit . . . und deshalb sieht er überall in unfern überlebten Einrichtungen, wo die Fehler stecken. . . überall will er helfen, bessern, Fortschritte, junges Leben sehn. Geld und Arbeitskraft hat er genug, Einfluß auch, denn wenn's den Leuten nichts kostet, lassen sie sich's ganz gern gefallen, daß einer ihnen ihr verfitztes Garn auseinanderbringt..."

Karl Wedekind brach plötzlich mitten in dem Loblied ab, das er seinem Gönner aus vollem Her­zen sang. Er wußte aus einmal, wer Hubert helfen würde und Helsen konnte. Das packte ihn, als wär' ihm selber ein Glück widerfahren.

Uebrigens kennen sie dich dort schon," fuhr er nach einen: kurzen Stocken eifrig fort.

Welche Ehre!" meinte Hubert ironisch.

Sie haben dein Stück gesehn, bei der Premiere."

Huberts Gleichgültigkeit war plötzlich verschwun­den. Seine dunkeln Augen begannen zu glühen.

Gesehn," murmelte er.Also gesehn, wie der zahlungsfähige Theaterpöbel ein Drama ablehnte, kalt, stumpf, blödsinnig, das"

Es soll auch Beifall gewesen sein."

Ja, ein Dutzend Verständnisvoller gegen die kompakte Masse, die sich bekreuzigt, wenn ihr mal statt des süßen Breies eine gesunde, kräftige Kost vorgesetzt wird..."