Die Kungersteine.
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„Desto mehr braucht er eine sonnige Kindheit."
„Nein," rief Hubert nach einem kurzen Nachdenken. „Aber das kannst du nicht so verstehn . . . Und auch für mich ist's eiserne Notwendigkeit, alles fortzuschieben, was nicht meine Welt ist, ineine eigentliche Welt."
„Hubert — Mensch sein, das ist's doch!"
Ueber Huberts fahles Gesicht huschte ein dunkles Not. Seine Augenbrauen falteten sich dicht zusammen. Dann lächelte er bitter. „Ich bin's nur zu sehr. Dies Kind, so klug, so schön... mit seinen rätselhaft tiefen Augen — ich vergöttere es ja! Aber: Landgraf, werde hart!"
„Spitzfindigkeiten! Du tüftelst zu viel!"
Hubert lächelte, wie man über die Reden eines Kindes lächelt. „Was weißt du, Kindlein! — Wenn hier oben Ebbe ist" — er schlug sich vor die Stirn — „oder im Geldbeutel. . . und du bietest dein Bestes aus wie sauer Bier . . . Sachen, die den ganzen Schund aufwiegen, der sich breit macht —" Er schluckte mit Gewalt die Erregung hinunter, die in ihm ausstieg. Dann fuhr er ruhig fort: „Siehst du, dann kommt wohl die Versuchung mit dem blonden Lockenkopf da und zeigt mir ein Familienidyll: ich selbst als würdiger Hausvater in geachteter bürgerlicher Stellung, Johanna strahlend im Besitz des legitimen Frauentitels... der Junge — Na, in solchen Momenten wär' ich fähig, mich als Lohnschreiber in irgend 'ner Zeitnngsschmiere zu verdingen —"
„Erlaube," unterbrach ihn Karl, „da stand doch mal was über dich in der Zeitung. Irgend eine Fürstlichkeit sollte dich zu ihrem Bibliothekar ernannt haben — "
„Wurde nichts draus." Hubert dämpfte die Stimme, mit einem Blick ins Nebenzimmer. „Der hohe Mäcen stieß sich später an meinen moralischen Qualitäten. Aber sie — Johanna — weiß nur, daß ich freiwillig- abgelehnt habe. Also still davon! Es hat sie sehr geschmerzt."
„Das begreif' ich," murmelte Karl.
„Dem Himmel Dank! Ich hätt' mich ihretwegen bald ins Joch spannen lassen. So blieb mir's doch erspart, das einzige, was ich besitze, meine Freiheit, dem Mammon opfern zu müssen. Aber was denkst du so in dich hinein, Kindlein?"
„Nichts. Ich begreif' es bloß ganz gut, daß du mit den Prinzipien vier Treppen hoch wohnst und Anfang März nicht mehr heizest."
Hubert lachte. „Verkenne nur ja nicht meine praktischen Talente, Kindlein. Du stellst dir am Ende vor, daß ich, die Hände im Schoß, auf die bewußten gebratenen Tauben warte? Herrgott, was Hab' ich mir nicht alles für Preise bieten lassen! Mein Schuster würde mich über die Achsel ansehn, wenn er wüßte, wie mir die Arbeit von Wochen, Monaten, Jahren bezahlt wird. Ich habe mich bei Zeitungen und Familienblättern als Korrespondent, Referent, Rezensent angeboten, ja, einem Witzblatt meine Feder zur Verfügung gestellt — lieber Himmel, an Galgenhumor konnt's mir doch nicht fehlen! Man hielt mich diesen wichtigen Aufgaben nicht für ge
wachsen. Ich habe Aufsätze, Essays, Feuilletons geschrieben, während in meinem Kopf die glänzendsten Ideen unbenutzt verpufften . . . Nun endlich!" unterbrach er sich, als Johanna jetzt ins Zimmer trat, mit geröteten Wangen, ein Brett mit Tellern, Gläsern und dem Abendbrot in den Händen.
Die ganze Hast und der Eifer, mit dem sie draußen alles besorgt hatte, lag ihr noch auf dem Gesicht. Ihre Augen waren etwas ängstlich und heiterten sich erst auf, als Hubert gleichmütig blieb.
Nun deckte sie gewandt den Tisch, stellte Brot, Butter und eine Schüssel mit kaltem Fleisch auf und lud freundlich zum Zulangen ein.
Während all dieser Hantierungen hatte sie von Zeit Zu Zeit verstohlen Huberts Gesicht geprüft. Ehe sie sich setzte, trat sie noch einmal wie Zufällig neben ihn und strich ihm leicht und sanft über das Haar. Diese schlichte Gebärde war von einer rührend demütigen Zärtlichkeit.
Er sah zu ihr empor, gütig und dankbar, aber ohne zu lächeln. „Was giebt's?" fragte er.
„Ich hörte eben, zuletzt, wovon Ihr spracht." Sie sah unruhig und besorgt aus.
Er zog die Stirn kraus. „Kind, mach dir darum keine Kopfschmerzen! Ich thu's ja auch nicht. Das ist ja alles Quark! — Aber sieh einmal dort . . ."
Er deutete aus den Spielwinkel. Felix hatte den Lockenkopf auf die Arme gelegt und war fest eingeschlafen.
„Der arme Schelm!" flüsterte Johanna und wollte zu ihm eilen. Aber Hubert hielt ihre Hand fest.
„Laß ihn. Er schläft da ganz gut. Komm endlich zur Ruhe."
Sie setzte sich gehorsam nieder — man sah es, mit welcher Ueberwindung — und bemühte sich,' eine aufmerksame und gesprächige Wirtin zu sein. Aber Karl Wedekind merkte wohl, daß ihre Heiterkeit ihr nicht recht vom Herzen kam, und daß sie fortwährend mit Bedauern an die unbequeme Lage des Kindes dachte. Doch wagte sie nicht einmal die Bitte, es ins Bett bringen zu dürfen.
Er beeilte sich deshalb so viel wie möglich, das Abendbrot zu absolvieren. Und fast mit einem Aufatmen der Erleichterung erhob sie sich, als niemand mehr nahm, räumte in Eile ab und trug den fest- schlafendeu kleinen Burschen hinaus.
Alles das hatte Karl Wedekind bemerkt und ein tiefes Mitgefühl für diese arme Seele empfunden. Das war ganz so wie früher. Ja, noch viel unselbständiger, scheuer, Zaghafter erschien sie ihm jetzt.
Es ist ihre rechtlose, demütigende Stellung, dachte Karl. Und er nahm sich's vor, als Anwalt im höheren Sinne, was menschenmöglich wäre, zu thun, um Hubert herauszuhelsen aus diesem Elend.
Und Johanna soll den Namen „Mutter" in Ehren tragen, dachte er.
*
Nach einer halben Stunde lebhaften Plauderns brach Hubert aus, sehr Zum Bedauern Johannas, die ganz versunken ihm zugehört hatte. Er ließ sich