Heft 
(1897) 09
Seite
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Weber Land und Meer.

Bitternisse so unvergänglich schön in ihrer Erinnerung lebten. Von ihrem Vater, der längst wieder ver­heiratet sei, mit einem jungen Dinge, und der sie sicher in dieser Absicht aus dem Hause habe schaffen wollen. Von ihren Leipziger Verwandten, die voll sittlicher Entrüstung ihr hatten ver­wehren wollen, zu Hubert zu reisen, als er tot­krank war, und die sie seitdem wie eine Verworfene behandelten.

Ach Gott," fuhr sie träumerisch fort,was fragte ich danach! Nur daß er lebte, lebte! Dies Glück, als ich ihn mir wieder zurechtgepflegt hatte! Mein Eigentum, mein Kind war er, so schwach und weich."

Er hat mir's erzählt. Er dankt Ihnen sein Leben."

Ach!" Sie errötete tief.Mein bißchen Ver­dienst! Nein," sagte sie leiser,die Hauptsache war, daß ich die Sorgen für ein Weilchen ihm aus den: Wege schieben konnte. Die hatten ihn ja ganz auf­gefressen."

Sie haben ihm viel geopfert."

Geopfert?" Sie sah ihn groß an, als ver­stünde sie ihn nicht recht. Dann seufzte sie.Ach Gott! Sauer genug hat er mir's ja gemacht. Mit seinem verrückten Stolz! Er wollte keine ,Wohl- thaterll annehmen, nicht einmal von mir. Und wie es so geht: Schlag auf Schlag kein Glück, bloß immer eine Widerwärtigkeit nach der andern, kaum daß er nur anfing, ein bißchen emporzukommen. Da haben wir Stunden durchgemacht ..."

Sie stand auf, als wolle sie dem Kleinen ein andres Spielzeug holen. Aber sie blieb eine Weile unschlüssig stehn neben dem Kindertischchen, blickte dann durchs Fenster und zupfte die Nähtischdecke gerade, die sie dabei verschoben hatte.

Als sie wieder auf ihren Platz zurückkam, war ihr Zartes Gesicht sehr blaß. Ihre schlanken Hände zitterten.

Zuletzt hatte er allen Glauben an sich ver­loren. Auch an sein Talent, was das Schlimmste war, und an meine Liebe. Da Hab' ich mir

gar nicht mehr zu helfen gewußt und bloß immer gebetet, daß der liebe Gott ihm irgend ein Zeichen senden möge ... so etwas Großes, das ihn herausrisse aus dieser schrecklichen Mutlosigkeit. Aber es kam nichts und da blieb mir nichts andres übrig"

Ihre Stimme brach. Ein krampfhaftes Zittern ging durch ihre Brust, doch sah sie mit klaren, trockenen Augen Karl ins Gesicht.Sie sind ein guter Mensch," wiederholte sie mit rührender Zu­versicht,Ihnen kann ich ja alles sagen: ich hätte mit Freuden mein Leben für ihn gegeben. Ich dachte: dein Tod, der würde ihn aufrütteln. Aber das sollte nicht sein. Und wie es dann so still und friedlich zwischen uns wurde... als er so glücklich aussah und dann in einem Zuge sein Drama schuf. . . sehn Sie, Herr Doktor, da Hab' ich mir hundertmal gesagt: das kann keine Sünde sein, und es wäre klein und schlecht, wenn ich's je bereuen würde."

Sie schloß mit leidenschaftlicher Inbrunst das Kind in ihre Arme und bedeckte es mit Küssen. Da geschah ein scharfer Zug an der Klingel, und sie ging hinaus, um zu öffnen.

Es war Hubert, der eintrat und Karl die Hand entgegenstreckte.Sieh da!" rief er.Sie sagte mir's schon. Und daß ihr euch gleich wieder an­gefreundet habt. Das freut mich, hauptsächlich ihret­wegen."

Johanna war wieder mit ihm ins Zimmer ge­treten, gefaßt und heiter. Sie half ihm diensteifrig den Mantel ablegen. Bei seinen freundlichen Worten, die von einem guten, warmen Blick begleitet waren, errötete sie tief und sah sehr jung und hübsch aus.

Ich habe sie mit hineingerissen in meine Ein­samkeit," fuhr er fort.Armer Schelm! Das ist nichts für Weiber."

Hab' ich denn etwas entbehrt?" fragte sie mit einem innigen Blick.Du hättest mich nicht so ver­wöhnen sollen. Freilich, mit dem Herrn Rechts­anwalt, das ist etwas andres. Der muß recht oft kommen. Nicht wahr, Herr Rechtsanwalt?"

Während Karl sich zustimmend verneigte, sagte Hubert mit einem leichten Stirnrnnzeln:Aber du hast noch nicht gesorgt für Deinen Gast"

Sie erschrak.Lieber Gott, ja! Und draußen steht alles! Ich hab's nur ganz vergessen über dem Plaudern. Verzeihen Sie!"

Ehe Karl noch ein Wort äußern konnte, war sie schon hinausgeschlüpft.

Hubert setzte sich hansväterisch in die Sofa-Ecke. Felix, der die ganze Zeit vergebens um seine Auf­merksamkeit gebettelt hatte, legte jetzt die runden Arme auf sein Knie, blickte verklärt zu ihm empor und stammelte voller Glückseligkeit:Papa! Papa!"

lieber Huberts fahles Asketengesicht flog eine zitternde, verlangende Zärtlichkeit, als wolle er das schöne Geschöpf emporheben und mit Liebkosungen überhäufen. Nur einen Augenblick. Dann hatte es wieder seine sarkastische Ruhe. Er klopfte dem Kleinen aus die runden Backen.Na, da bist du ja, kleiner Kerl! Noch nicht müde?"

Felix schüttelte den Kopf und zeigte noch deut­licher sein Verlangen, auf des Vaters Schoß zn sitzen. Aber Hubert blieb ungerührt.Geh spielen, an deinen Tisch. Sonst mußt du ins Bett."

Des Kindes große Angen standen plötzlich voller Thränen. Der kleine Mund zog sich herab. Aber wie ein Held verbiß Felix das Weinen. Nur ein Zucken der Brust verriet seinen Kummer, als er langsam nach seinem Spieleckchen tappte.

Dem gutmütigen Karl war's, als müsse er den: Kinde nachstürzen, es ausheben, mit tausend guten Worten trösten.Du scheinst ja wahrhaft spar­tanische Erziehungsgrundsätze zu haben," sagte er halblaut, damit das Kind es nicht höre.

Ich muß es," erwiderte Hubert ebenso. Dabei ging ein schmerzlicher Schatten über sein Gesicht. Johanna verzärtelt ihn mir schon genug. Und er braucht Härte. Für seinesgleichen hat das Leben keine Rosen."