Die Kiuigersteine.
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Hubert, im Punkt der Gesellschaftsregeln nie ganz taktfest, erschrak hinterher über seine Kühnheit. Vielleicht hatte er etwas gethan oder gesagt, was in diesen vornehmen Kreisen verpönt war.
„Verzeihen Sie," sagte er schnell und unsicher. „Sie sehn mich heut zum erstenmal. Und es ist vielleicht eine Unart, wenn ein Wildfremder..."
Sie schüttelte den Kopf. „Fremd? Ich kenne Sie ganz genau."
„Sie meinen — meine Sachen?"
Sie nickte.
„Herrgott! Für Frauen Hab' ich ja nie. . . nicht mal meine Gedichte gehören auf den Schreibtisch einer Dame."
„Eine ,Dame' bin ich auch Gott sei Dank nicht," sagte Lotte in ihrer schnellen, heiteren Art. „Als Backfisch hatte ich zwar die größte Lust, eine 'rauszubeißen. Aber Papa — Sie kennen Papa noch nicht genug —"
„Ich verstehe ihn schon."
„Sehn Sie, und deshalb liegt auf meinem Schreibtisch auch so allerlei, was aus diesen unnützen Möbeln sonst nicht zu liegen Pflegt. Und deshalb. . . nein, das sag' ich Ihnen nicht... Uebrigens," unterbrach sie sich plötzlich weich und vorwurfsvoll, „warum wollten Sie nicht Zu uns kommen?"
„Einfach, weil ich Sie nicht kannte und mir ganz falsche Vorstellungen. . . und dann — meine Verhältnisse ..." Ein tiefer Seufzer stieg aus seiner Brust.
Sie streifte mit einem flüchtigen Blick seinen bescheidenen Anzug und blieb an seinem Kopf hängen. Er war nicht eigentlich schön, obgleich er kräftige und regelmäßige Formen Zeigte, lieber seinen dichten Brauen hatten die Widrigkeiten seiner Jugend allerlei abgelagert: Trotz, Verachtung, Verbitterung. Aber höher hinauf war die Stirn hell, friedvoll und von seltener Schönheit.
„Ihre Verhältnisse!" rief sie. „Nein, so kleinlich dürfen Sie nicht sein. Nein, Sie nicht! Warten Sie nur — in ein paar Jahren sehn Sie uns alle über die Achsel an!"
Sie schwieg verwirrt, beschämt, kam sich entsetzlich taktlos vor, an seine Armut gerührt zu haben. Und er hatte es anders gemeint. Die Ketten, mit denen er gebunden war, fielen ihm ein.
Mie sollst du das verstehn?' dachte er. Es kam ihm vor, als betrüge er sie. Er atmete auf, als die Thür sich öffnete und das Zwiegespräch, das eine so unerwartete Wendung genommen hatte, ein Ende fand.
Der Konsul trat ein, eine ältere Dame führend, die etwas unbehilslich auf den Füßen schien. Lotte sprang ihnen entgegen, schob ihren Arm unter den der stattlichen Frau und begleitete sie zum Sofa.
„Hier meine Schwester und Antipodin, Frau von Nienstedt," rief der Konsul. „Liebe Sophie, dieser Herr empfiehlt sich deiner Huld. Nicht wahr, Herr Hubertus? Thun Sie's nur gleich im Anfänge. Versichern Sie sich ihrer Gunst!"
Frau von Nienstedts ruhiger und etwas strenger Blick ruhte lange prüfend auf dem Gast. Hubert
Ueber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. 9.
verneigte sich schweigend, steif und durchaus nicht verbindlich. Er hatte nicht die geringste Lust, sich irgend jemandes Huld Zu empfehlen. Frau von Nienstedt merkte ihm an, daß diese Einführung durchaus nicht nach seinem Sinne war.
Sie hatten sich alle zwanglos in dem Eckchen mit der Phönixpalme niedergelassen. Lolo saß, kaum sichtbar für Hubert, etwas im Hintergründe. Doch hatte er fortwährend das Bewußtsein ihrer Gegenwart, wohlthuend, schmeichelnd, als ließe er sich von der Frühlingssonne bescheinen.
Der Konsul war heiter und gesprächig. Alles strömte bei diesem Mann aus dem Vollen. Und verwunderlich war's Hubert, daß das vornehme Haus ihn nicht bedrückte. Aber das bißchen Drum und Dran kam neben diesen Menschen gar nicht in Betracht.
Er suchte sich auch mit der Schwester des Konsuls ins reine Zu setzen. Ihr volles Gesicht hatte etwas Geschlossenes. Sie sprach wenig, doch jedes Wort war „wie in Erz gegossen".
„Wo ist denn Kläre?" fragte Berghauer auf einmal.
„Sie hat die Wirtschaftswoche. Gleich wird sie kommen."
„Das arme Ding!" sagte er gutmütig bedauernd.
„Lieber Wilhelm —"
„Pardon, Sophie. Na, der macht's wenigstens Spaß. Aber die Lolo, wenn die die Aufsicht hat — der reine Pegasus im Joche."
Ein schlankes Mädchen kam hereingelaufen, ein halbes Kind noch, die vollen Wangen dunkelrot vom jungen warmen Blut. Sie grüßte ein wenig linkisch, und Spott und Befangenheit sahen ihr aus den braunen Augen. Dann ging sie zur Tante und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
„Sie essen natürlich einen Löffel Suppe mit uns," sagte Berghauer und wollte von einer Weigerung nichts wissen.
Hubert blickte einen Moment unschlüssig auf Charlotte. Sie schwieg. Aber ihre lebhaften Augen sagten: so bleib doch!
Berghauer hatte mehrmals nach der Thür gesehu.
Jetzt, als sich draußen im Korridor ein Geräusch vernehmen ließ, sagte er zufrieden: „Aha! Sie kommt also, die Ueberraschung."
Er hatte seiner Schwester den Arm gereicht. „Bitte, noch einen Augenblick. Wir haben noch einen Gast. Ich Hab' ihn mir noch schnell gekapert, als ich unfern Dichter glücklich erwischt hatte."
Kläre rief: „Ich weiß, Papa!"
Sie umschlang ihre Schwester und tuschelte, und als sich jetzt die Thür öffnete, lachte sie: „Da ist er!"
Karl Wedekind erschien auf der Schwelle und blieb einen Augenblick wie angedonnert stehn.
„Na? Hab ich's recht gemacht?" fragte der Konsul.
Jetzt kamen ein paar Stunden, wie Hubert sie noch nie erlebt hatte. Nein, noch nie! sagte er sich, wenn er einen Moment aus dem Glücksrausch zu sich selber kam. Das prächtige Zimmer, die seinen Tafelgeräte, die Treibhausblumen, die vorzüglichen.
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