Heft 
(1897) 09
Seite
382
Einzelbild herunterladen

382

Uelier Land und Meer.

Speisen! Dazu der Wem, der ihm, so vorsichtig er auch trank, gleich Zu Kopse stieg.

Allmählich geriet Hubert in einen wahren Tau­mel der Beredsamkeit. Gleichgültigen oder anti- pathischen Leuten gegenüber erstarrte ihm das Wort auf der Zunge. Heut aber sprudelte sein Bestes wie aus tiefsten Schächten Vater und Tochter Zn.

Frau von Nienstedts beobachtende Augen störten ihn nicht. Doch regte sich sein Kampfmut, wenn sie ihre Bemerkungen machte mit der unfehlbaren Ruhe einer Sibylle.

Er konnte seine Verwunderung über die Ver­schiedenheit der Geschwister nicht verhehlen.

Ja, die Sophie," meinte Berghaner.Die hat auch ihr Lebtag auf ihrer Scholle gesessen eine Königin im kleinen, ja die höchste Autorität in Sachen der Moral, des Geschmacks und so weiter aus zehn Meilen in der Runde. Sie ist so positiv. Sie hat nie Zweifel. Es steht alles so bei ihr es ist'ne wahre Freude! Deshalb brauch' ich sie ganz notwendig als Korrektiv. Denn ich bin leider Gottes draußen ein Durchgänger geworden. . . Hab' heute die und morgen die Ueberzeugung, bin mir nie zu alt oder zu gescheit, das Bessere anzunehmen, wo ich's finde, und schäme mich nicht, mit sechzig Jahren noch beim Leben in die Schule zu gehn. Und die Lolo" er kraute sich mit humoristischer Zerknirschung hinterm Ohr,die ist mir nachgeraten."

Gott sei Dank, Papa!" lachte Lotte. Sie strahlte vor Lebensfreude, vor sprühender Ausge­lassenheit. Es war ein fortwährender Wechsel in ihrem Wesen, bald Heiterkeit, bald Ernst. Wie eine Landschaft an einem stürmischen Frühlingstage.

Leider!" sagte Frau von Nienstedt nachdrücklich.

In Hubert schwoll die Kampflust mächtig auf.

Fräulein Lolo," wandte er sich an die würdige Dame aus dem Sofa,hat ja am Ende auch das Recht, ein bissel ,Durchgängerin' zu sein."

Weshalb?" Frau von Nienstedt hob den Kopf.

Nun als Künstlerin"

Wollen Sie etwa für die,Künstlerin^ besondere Gesetze gelten lassen? Soll nicht gerade sie immer in erster Linie Frau sein?"

Mann oder Frau über dem Menschen steht immer der Künstler. Wer den: nicht recht giebt, wenn er mit dem Menschen handgemein wird, der mag sich schimpfen wie er will ein Künstler ist er nicht."

Sie werden mir aber doch zugeben müssen." sagte Frau von Nienstedt etwas scharf,daß jeder noch so hoch begabte Mensch vor allem die Pflicht hat, ein Priester der Moral zu sein."

Dies Diktum traf Hubert an seinem wundesten Punkt. Pharisäerin! dachte er zornig. Aber er nahm sich gewaltig zusammen. Er sah Kläres Augen mit kindlich unbefangener Neugier auf sich gerichtet, während sie von einer Weintraube langsam Beere aus Beere pflückte und zierlich, mit spitzen Fingern, in den roten Mund schob.

Neben ihr saß Karl Wedekind, rund und röt­lich, in einer Hand das Dessertmesser, in der andern eine halbgeschälte saftige Birne. Doch hatte er das

Vorhaben, die schöne Frucht zu verspeisen, vor Schreck ganz vergessen.

Hubert war's, als er seines Freundes betroffene Angen sah, als müsse er verteidigen, was er sich als das Recht seiner höheren Natur herausgenommen hatte.Kunst, gnädige Frau, ist ja höchste Sitt­lichkeit. Und Künstler sind Zukunstsmenschen. Vor­posten ihrer Generation, ja vielleicht vieler Gene­rationen. Wie langsam humpelt der Koloß der andern ihnen nach, versteht sie nicht, verlästert, ver­ketzert sie steinigt sie. Weil das, was sie thun müssen, was in Zukunft als Gesetz höherer Mensch­lichkeit gilt, von der dumpfen Zeit noch nicht be­griffen, ja vielleicht unter irgend einen Paragraphen des Strafgesetzbuchs gestellt wird..."

Er hielt inne, von Lottes leuchtenden Augen getroffen.

Dann schloß er energisch:Wo eines Menschen höchste Kraft ist, da ist auch seine höchste Pflicht."

Bravo," sagte Verghauer.

Für Ausnahmenaturen Ausnahmegesetze! Ihr vernichtet das Talent, wenn ihr's unters Militär­maß ducken wollt!"

Wenn er Alltagsmenschen sich über das, was der Künstler thun oder lassen soll, wichtigthnerisch verbreiten sah, erschien ihm das gerade so wahn­sinnig vermessen, als wenn ein Taubgeborener sich unterfinge, eine Beethovensche Symphonie zu be­kritteln.

Verzeihen Sie, gnädige Frau," wandte er sich mit einer kleinen Verbeugung an die Tante, die spöttischkalt, in jedem Zug schweigende Opposition, ihm gegenübersaß.Mir scheint, ich Hab' mich da einer argen Ketzerei schuldig gemacht. Aber es wird mich gewiß entsühnen in Ihren Augen, wenn ich sage: mein bißchen Weisheit Hab' ich mir errungen, wie einer, der, Wissenschaft halber, auf den Mont­blanc geklettert ist. Mit seinen gesunden Gliedern hat er vielleicht die Erfahrung bezahlt. Aber über den Montblanc' kann er jetzt reden. Und mit besserem Recht als die Leutchen, die klüglich unten geblieben sind."

Ja!" ries, ehe noch jemand anders hatte zu Worte kommen können, Karl Wedekind mit dem Brustton der Ueberzeugung. Es war sein Schicksal, Hubert glauben zu müssen. Sein empfänglicher Geist konnte den kräftigen Ideen des Freundes nicht widerstehn. Der stand wieder einmal gerechtfertigt vor ihm.

Er hatte bisher mit sehr gemischten Gefühlen am Tisch gesessen. Ein ehrlicher Stolz schwellte ihn, zu sehn, wie sehr Hubert seiner Empfehlung Ehre machte. Immer war er der Mittelpunkt des Interesses. Und Berghauer sah man's an, daß er schon förmlich .einen Narren gefressen' hatte an seinem Dichter.

Bloß in Lottes glänzende Augen durfte Karl nicht sehn. Dann überkam ihn ein seltsam beklom­menes Gefühl. Sie ließ sie oft so selbstvergessen aus Huberts Gesicht ruhen. Aus ihrer sprühenden Lebhaftigkeit versank sie manchmal in ein kurzes Träumen.