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Ueber Land und Meer.
Das Aroma feiner Zigarren drang ihnen entgegen. Laute Männerstimmen schollen aus dem Zimmer.
Als sie eintraten, fanden sie die beiden Herren vor einigen Bildern, die an den Wänden ausgehängt oder an passenden Plätzen ausgestellt waren.
„Also er ist begeistert, Lolo!" rief Berghauer vergnügt. „Warum hast du dich denn verkrochen? Hattest wohl bange, daß er dich 'runterreißen könnte?
Es war beinah, als hätte sie derartiges gefürchtet — so sehr verklärte sich jetzt ihr Gesicht.
„Ist's Ihnen nicht zu. . . zu grob?" fragte sie zaghaft.
„Na, Gott sei Dank, Damenarbeit ist's nicht," ries Berghauer statt seiner. „So tipp, tipp... und alles hübsch ausgeführt und ,verschönert'." Der Konsul legte einen unglaublichen Hohn in das Wort.
„Für jeden ist's ja nicht," sagte Lotte leise, fast demütig.
Huberts „Begeisterung", die sich bis jetzt bloß pantomimisch, in einem Händedruck, geäußert hatte, fand nun auch ein paar Worte. „Ich bin ja kein Kenner," sagte er. „Ich kann bloß sagen: es ist echt."
Lottes Augen sprühten wie ein paar kleine Sonnen.
Und nun gerieten sie in ein Kunstgespräch, und es fand sich eine solche Harmonie in ihren Anschauungen, ihrem Wollen, ihren Urteilen, daß sie sich nur immer von neuem mit glücklichem Erstaunen in die Augen sahen.
Karl Wedekind stand dabei und hörte zu und hatte eine Zigarre, die der Konsul ihm angeboten, abgeschnitten und angezündet. Aber er legte sie plötzlich nieder.
„Verzeihen Sie," murmelte er mit einem fahlen, müden Gesicht, „aber es wird nun doch Zeit. Wir dürfen nicht länger stören."
Hubert fiel wie aus dem Himmel. Unwillkürlich seufzte er. Aber es mußte sein. Einmal mußte er ja doch heraus aus dem Paradiese, zurück in seine Oede, Kälte und Unwirtlichkeit.
„Warten Sie," sagte Berghauer, „ich geh' mit. Muß noch zu 'ner Ausschußsitzung. Haben mir da wieder 'nen Posten ausgehängt —"
„Aber Papa, du mußt doch auch an dich denken!"
„Ach was! Wenn sie mich brauchen können! Mich daher zu setzen und mein Podagra zu pflegen, dazu bin ich in zehn Jahren noch nicht alt genug."
Sie verabschiedeten sich von der Tante, die würdevoll in ihrem Sosaplatz thronte. Die Mädchen gingen mit ins Vorzimmer und halsen ihrem Vater, sich reisefertig zu machen.
Der Konsul, ganz voll von seinen Ideen, sprudelte währenddessen allerlei Konterbande hervor.
„Hab' mir da draußen den Geschmack am alten Europa ein bissel verdorben," rief er. „Herrgott! Wo man hinguckt, hängt ja noch 's Mittelalter in großen Fetzen. Aufräumen, Platz machen, Luft schaffen, das ist 's Notwendigste! Der alte Moder muß weg, daß das junge Leben durch kann."
„Papa," lachte Lotte schelmisch, „versündige dich nicht am ,geheiligten Alten'."
„Teufel, ja!" brummte er. „Wir haben ja unsre ,Pietät' — ein wohlklingender Ausdruck für Denkfaulheit und Gefühlsschlendrian übrigens. Pietät! Unter der Firma sind mehr Sünden begangen worden, als die Menschheit sich träumen läßt. Wenn wir einen Schritt vorwärts gemacht haben, kugeln wir drei Zurück. Das macht, die Arrieregarde zerrt und Zerrt. Am besten paßte ihr's, wenn zum Rückzug geblasen würde. Dann käm' sie ja auf einmal an die Spitze. Und brauchte keinen Schritt gemacht und keinen Finger gerührt zu haben. O je! Ich sag's ja, 's ist mein Schicksal: Zu früh geboren! So um tausend Jahr Zn früh!"
Lachend und scherzend verabschiedete man sich.
Es war Schnee gefallen.
Hinter den Eisengittern der Gärten lagen die mit Tannenreisig geschützten Beete wie Gräber unter der dicken, weißen, weichen Decke. Schwarzen Klecksen gleich hoben sich Koniserengruppen von dem kaltgrauen Grunde ab. Mal ein rötlich warmes Leuchten hinter den Fenstern, mal ein gelbes, langgestrecktes Streiflicht: Farbe und Leben in all den Loten, blaffen Schatten.
Die Herren trennten sich vor der Gartenpforte.
Hubert und Karl gingen durch die Marschallsstraße, über die Brühlsche Terrasse, der Brücke Zu.
Ganz stumm. Hubert, als wär' er der Welt entrückt. Nach innen gekehrt, ohne Blick,-die Stirn in finsteren Falten. Manchmal bewegten sich seine Lippen, oder er machte eine schnelle, Zwecklose Geste.
Karl Wedekind mußte ilm immer wieder ansehn, und konnte es ganz unverhohlen. Für Hubert war er gar nicht vorhanden. So wenig, als säße er auf dem Sirius.
Was hätte Karl drum gegeben, einen Blick in die siebenfach verschlossene Seele dieses Menschen zu thun! Was spann der da wohl für Gedanken?
Ihm war, als sähe er eine große, unheilbare Verwirrung vor sich. Alles, was vor ein paar Stunden noch hell und klar und hoffnungsvoll gewesen, schien ihm durcheinander gekommen. Nirgend Anfang und Ende. Er wußte gar nicht mehr, wie er das Leben anpacken sollte. Dazu that er sich selber leid, wie als Kind, wenn ihm irgend ein frecher Bursch sein bestes Spielzeug weggenommen hatte.
Von der Höhe der Terrasse sahen sie ans den Strom hinab. Er war noch gewachsen seit neulich, als Hubert ihm von den Hungersteinen erzählt hatte. Wieder dachte er, daß Regen und Schnee und alle Bäche und Flüsse so einem mächtigen Ungeheuer tributpflichtig seien. Daß Naturgesetze sie ihm zutrieben, alle, alle, und daß dies Ungeheuer, genährt mit ihrem Leben und ihrer Kraft, immer stolzer und gewaltiger seinem Ziel, dem Meere, Zuströme.
Ganz ebenso, auch wie dem Zwange einer Naturgewalt folgend, waren die Berghauers heut wieder in Huberts Bann geraten.