Heft 
(1897) 09
Seite
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Die Kungersteine.

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Und er selber, wie sehr er vielleicht Grund hatte, ihm Zu zürnen, er that's nicht. Zornig, widerwillig und doch bezwungen, bewunderte er ihn.

Hubert," sagte er, während sie langsam, an den goldfunkelnden Gruppen der ,Tageszeiten' vor­über, die breite Treppe Hinabstiegen zum Schloß­platz,was meinst du, gehn wir noch ein Stündchen zu Johanna?"

Hubert sah ihn an, als käme er eben von irgend einem Fixstern auf die Erde zurück.

Sieh mal, zum Arbeiten hat man doch keine Stimmung mehr heut abend. Und dann sie würde sich so freuen du mußt ihr doch erzählen..."

Wer würde sich freuen?" fragte Hubert auf einmal mißtrauisch und finster.

Johanna natürlich."

Johanna?" Tief verwundert klang die Frage, so, als müsse er lange in seinem Gedächtnis nach einer Johanna suchen.

Nein," sagte er dann, langsam den Kopf schüt­telnd.Ich arbeite noch. Aber geh du. Grüße ; sie von mir. Adieu!"

Und als lasse es ihm keine Ruhe, bis er nicht wieder vor seinem Schreibtisch säße, gab er ihm flüchtig die Hand und ging mit schnellen Schritten der Brücke zu.

Karl Wedekind stand einen Augenblick ganz ver­dutzt über den plötzlichen Abschied. Dann schleuderte er unschlüssig weiter, an der Hofkirche vorüber, die ! sich seltsam ausnahm mit all ihren weißbeschneiten ! Heiligen und dem barocken Turm. Er hatte das j Gefühl, daß Johanna ihm heut abend gutthun ! würde. Er sehnte sich nach ihr wie nach seiner ! Mutter. Und ehe er's wußte, stand er vor dem kleinen Laden in der Marienstraße.

Es war schon alles dunkel, die Holzjalousien geschlossen. Aber aus dem Stubenfenster schimmerte Licht.

Er mußte durch den Hausflur und an der Hin­teren Thür klingeln, die zu ihrer Wohnung führte. Es war dort fast ganz finster. Der Winkel lag hinter der Treppe, und das Licht reichte nicht bis hierher.

Nach einer Weile wurde geöffnet.

Hubert!" rief Johannas Stimme in einem durchdringenden, von Freude förmlich gesättigten Flüsterton.

Karl zog den Hut, tieferschrocken über ihren nur zu begreiflichen Irrtum. Sie hatte diesen auch im nächsten Augenblick schon eingesehn und flüsterte be­schämt:Verzeihen Sie, Herr Doktor!"

Ja, leider bin ich es nur," murmelte Karl. Aber ich bringe Ihnen Grüße von Hubert. Er ist heut wieder ,drüber', wissen Sie. Da darf man l nichts von ihm verlangen." ^

Ach nein," sagte sie leise, und ein schwerer ! Seufzer drängte sich aus ihrer Brust.Ich bin ! ja die Letzte. . . wenn er arbeiten kann..."

Sie schloß die Thür hinter ihm. Er stand in einer kleinen, einfachen Küche. Ein grelles Lämp­chen beleuchtete allerlei Blitzendes. Nun hob sie warnend den Finger an die Lippen:Bitte, leise!

Felix schläft!" hauchte sie ihm zu. Das Lämpchen mit der Hand schützend, ging sie ihm auf den Zehen­spitzen voran durch das armselige Schlafkämmerchen. Nur das Notwendigste war darin, ihr Bett, mit einer weißen Decke verhüllt, und des Kindes kleines Lager.

Daran konnte sie aber nicht vorübergehn, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Der blonde Lockenkopf mit den schlafroteu Bäckchen, auf denen die langen Wimpern wie zarte Schatten lagen, schien unruhig zu träumen. Er hatte die kleine Stirn in Falten gezogen, und um den Mund lag es wie Trotz und Schmerz. Die Ähnlichkeit mit Hubert war Karl noch niemals so zum Bewußtsein gekommen.

,Sein Kind. . . sein Weib!' dachte er. Und es war ihm förmlich, als würde das Herz ihm leichter. Ja, er wußte jetzt, warum es ihn Hergetrieben hatte. Das hatte er sich recht eindringlich zu Sinne führen wollen.

Und dann saßen die beiden ganz gemütlich neben­einander auf dem Sofa in der Wohnstube. Jo­hanna hatte nicht geruht, bis er nicht Huberts Platz eingenommen hatte. Sie strickte, und die Nadeln klapperten in ihren mageren weißen Fingern. Im eisernen Ofen glühten die Kohlen und sanken von Zeit zu Zeit mit leisem Gepolter in sich zusammen. Es duftete wieder nach Aepfeln. Die weiße Tisch­decke glänzte, nirgends lag ein Stäubchen.

Mit wie wenigem weiß sie es traulich zu machen um sich her,' dachte Karl bewegt. ,Die, in Glück und Ansehn, mit ihrem feinen Herzenstakt, der hundertmal mehr wert ist, wie die Dressur unsrer höheren Töchter" was kann denn Hubert sich Besseres wünschen!'

Da fragte sie gerade nach ihm.

Haben Sie ihn lange nicht gesehn?" fragte er zurück.

Sie zögerte mit der Antwort. Dann sagte sie: Die ganze Woche nicht." Und dabei erglühte sie über und über aus Scham, daß er sie so vernach­lässigt hatte. Ihre Stimme hatte leicht gezittert.

Sie that ihm bitter leid.Er wohnt so weit," sagte er, als könne ihn das entschuldigen.

Sie ließ die Nadeln sinken und blickte in die Lampe.

Natürlich, das ist's ja," sagte sie vor sich hin. Ihre Lippen zuckten leise.Sehn Sie, das war früher ganz anders. Da hatte er im Nebenhause sein Zimmer. Und zu allen Mahlzeiten kam er herum, und ich kochte das Kräftigste und Beste. Es hat ihm ja auch immer so gut geschmeckt," fügte sie mit einen: glücklichen Lächeln hinzu.Und wenn er nicht arbeiten konnte, so kam er doch und spielte mit dem Kleinen, und wir schwatzten zusammen. Er hatte doch einen Menschen um sich, der ihn verstand. Wenigstens" und wieder huschte es rosig über ihr Gesichthat er sich immer gewundert, wie gut ich ihn begriff. Wenn ich auch nicht viel ge­lernt habe ich war ja selber erstaunt, wie mir so allmählich die Lichter aufgingen. Aber dann zog er fort. Er sagte, die ,Familiensimpelei' lenke ihn ab. Auch wollte er meine Wohlthaten' nicht länger