Heft 
(1897) 09
Seite
396
Einzelbild herunterladen

396

Melier Land und Meer.

Kunstsinn und immer wieder Ausführung neuer Ideen. Daß dabei auch häufig Geschmacklosigkeiten, die trotzdem uachgeahmt werden, unterlaufen, ist bei der Sucht nach Neuem und Originellem nur natürlich. So werden in Amerika auf der Festtafel Blumenläufer hergestellt, die in bunten Arabesken und Figuren sich über die ganze Länge des Tafeltuchs breiten. Hierzu werden die Blumenblätter fein zerschnitten, nach Farben gesondert, und aus diesem zerrissenen, des Duftigen und Anmutigen beraubten Material die Tafelverzierung zusammengestellt. Von einemrosen- farbenen" Diner einer berühmten Schauspielerin in Paris erzählte dieBindekunst", ein seit Jahresfrist erscheinendes Fachblatt, das sich nur den Interessen der Bindekunst zu­wendet: die Damen waren gebeten, in rosa Kleidern zu erscheinen, die Salons waren mit rosenfarbenen Blumen, Rosen und Nelken geschmückt, die Lampen hatten rosa Schirme. Die Tafel war geschmückt mit kleinen rosa Chry­santhemum, die von den Stielen gepflückt und in Mustern auf den Damast des Tischtuches gelegt waren. Daß das Tafelgerät, die Gläser, die Tafelaufsätze, kurz alles, was sich auf dem Tisch befand, wie auch die Süßigkeiten, das Eis und die Cremes dieselbe Farbe hatten, daß auf jedem Teller ein mit rosa Band gebundenes rosa Sträußchen lag, braucht nicht erst erwähnt zu werden. Ob die Laune dem rosafarbenen Aufputz entsprochen hatte, wurde nicht erwähnt, hoffentlich war es der Fall. In London ist die Blumenliebhaberei ebenfalls eine sehr große, und man findet dort eine sehr hübsche Verwendung für die bei Festlichkeiten, zum Beispiel bei Trauungen in den Kirchen verwendeten nbgeschnittenen und nach der Feier noch frischen Blumen. Diese werden in die Krankenhäuser oder zu Geistlichen zur Verteilung an arme Kranke gebracht, auch viele Besitzer vou Treibhäusern verwenden ihren Uebersluß an Blumen auf diese hübsche Weise. Wie viel Trost und Lebenshoffnuug mögen diese Blumenspenden in die Herzen der Freudlosen und Leidenden bringen!

Wie ist doch die Technik des Bindens wie der Fach­mann diese Kunst benennt eine andre geworden! Früher die abgezirkelten Tellersträuße, jede Blume an Draht ge­bunden oder mit Draht durchstochen oder gar, wie es noch vor der Einführung des biegsamen Blumendrahtes geschah, die Blumen an dünne Stäbchen gebunden, und heute die lockeren, duftigen Sträuße, aus denen an langen Stielen die Blüten unbeengt, frei wie die Vöglein hervorschweben. Langstielige Blumen, das ist das Losungswort der Binder für die Schnittblumenzüchter, und darum sind auch unsre herrlichen Freilandstauden wieder zu Ehren gekommen; sie sind niit ihren schönen, farbenprächtigen Blüten auf langen, bei vielen fast drahtartigen Stielen so recht dazu angethan, den großen Anforderungen des heutigen Bindekünstlers zu entsprechen. Es genügt dem Züchter aber nicht, daß die Natur ihm freiwillig das Gesuchte bietet; dort wo sie mit langen Stielen sparsam ist, will er sie zu seinem Willen zwingen, und so sehen wir oft Rosen auf schlanken Stielen von einhalb Meter Länge. Der Draht kann aber nicht ganz entbehrt werden, und besonders bei Blumenstücken, die eine Unterlage aus aneinandergefügten Blüten haben, oder bei solchen, deren Form in solcher Art gebildet ist, muß jede einzelne Blume noch an Draht befestigt werden. Die letztere Art von Blumenarbeiten nennt der feinsinnige Binder Pflasterarbeiten, und diese sind ihm ein Greuel; aber der Geschmack ist verschieden, und so verlangt der Käufer manchmal wunderbare Sachen. Ein Baugerüst aus Blumen hergestellt, zur Verlobung eines Baumeisters, eine Cognacflasche, vielleicht für einen Reisenden in diesem Artikel, oder ein Kohlenzug, alles das aus Blumen gebildet oder mit solchen ausgeschmückt, das gehört zu dem manchmal Begehrten.

Das sind böse Auswüchse der Bindekunst; betrachten

wir aber ihre oft wirkliche Kunstwerke darstellenden Erzeug­nisse, wie erquicklich wirken dann diese auf Auge und Herz. Hier bei einem Kranze die feine Abtönung der Farben, goldenes Gelb, immer in mattere Töne übergehend, um in tiefes Braun auszuklingen, und dazu ein zartfarbiges Lila verwendet; oder eine Blumenstaffelei, den Plüschrahmen umrankt von leichten Laub- und Blumenranken, und auf der mittleren Fläche ein Blumenstrauß, als hätte eines Malers Pinsel ihn hingezaubert.

Wenn sonst bei allem, was die Menschen zum Erwerb ergreifen, eine Ueberfüllung vorhanden ist, so mangelt es bei der Bindekunst an tüchtigen Kräften, und hier dürfte der gebildeten, einen Erwerbszweig suchenden Frau noch ein Feld offen stehen. An Bindern und Binderinnen ist zwar durchaus kein Mangel vorhanden, aber die meisten derselben werden fabrikmäßig ausgebildet, und wenn ein Geschäftsinhaber oder eine Geschäftsinhaberin nach einer ersten Kraft sucht, so gelingt es ihr selten, das zu finden, was sie für ihr Geschäft braucht. Die geringeren Kräfte werden als Andrahterinnen, wie diejenigen bezeichnet werden, die die Blumen mit Draht versehen und das Bindegrün Herrichten, verwendet, so daß der Bindekünstlerin nur obliegt, ihren Kunstsinn bei der Zusammenstellung von Blumen­stücken zu entfalten.

Es sind wohl auch vielfach männliche Personen in den Bindegeschüften thätig, und manche leisten geradezu Künst­lerisches, aber es ist doch die richtigere Aufgabe für eine zarte und geschickte Frauenhand, die Blumengebilde zu duftigen Werken zusammenzustellen. Und bei der Aus­schmückung von Wohn- und Festräumen und der Festtafel wird wohl auch die Frau stets das Richtigere treffen; es ist gerade ihr Gebiet, wo sie zu walten versteht, sie wird es so anzuordnen wissen, daß stets bei aller Pracht das Trauliche nicht fehlen wird.

Als Frauenerwerb wird auch der Beruf der Gärtnerin vielfach in Betracht gezogen; das ist aber ein anstrengender und mühevoller Berus, dem sich nur starke, kräftige Per­sonen widmen sollten. Ein gärtnerischer Betrieb verlangt eine kenntnisvolle und umsichtige Leitung, eine Kenntnis auch der kleinsten der vielverzweigten Arbeiten. In der Bindekunst aber wird die Frau einen ihren Kräften, Kennt­nissen und Neigungen entsprechenden Beruf finden, und ;e mehr die ersten Bindekünstlerinnen aus den gebildeteren Ständen hervorgehen, desto mehr wird diese Kunst empor­blühen und damit auch das Ansehen der Künstlerinnen. Wie viele gebildete Frauen giebt es, die sich in diesem Fach emporgearbeitet haben und Leiterin und Besitzerin der angesehensten Bindegeschäfte geworden sind.

Internationale Spionage.*)

Einige Worte bei Gelegenheit des Falles Dreyfus.

Von einem früheren Staatsmann.

L^jer FallDreyfus" ist vorläufig wohl als ab- geschlossen zu betrachten, nachdem Herr Esterhazy frei­gesprochen und das offizielle Frankreich über Herrn Scheurer - Kestner und seinMaterial" zur Tagesordnung übergegangen ist. Ob die Sache damit ihre endgültige Erledigung gefunden hat, dürfte zweifelhaft erscheinen. Uns aber kann es gleichgültig sein, ob Dreyfus von dem Agenten einer fremden Macht bestochen und von dieser an Frank­reich verraten, oder ob er von einem geschickten Contrespion

*) Wir entnehmen diesen sehr interessanten Aufsatz über eine gegenwärtig die ganze gebildete Welt beschäftigende Frage dem Märzheft derDeutschen Revue", herausgegeben von Richard Fleischer (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt).