Heft 
(1897) 09
Seite
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Die "Kindekunst.

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Farbentönen, vom blassen bis zum tiefsten Rot, in duftigem Gelb und zartein Himmelblau duftende Märchenblumen, geheimnisvolle Blüten, geeignet wie keine andern, zu einem Blumengedicht gewunden zu werden. Woher aber soll der Bindekünstler diese zarten Kinder nehmen, die doch ihre glänzenden Tellerblätter und keuschen Blüten nur in stets warmem Wasser entfalten? Nun, der Gärtner schreckt auch vor solchen Ansprüchen nicht zurück, und so werden Warmhäuser gebaut, deren Inneres statt der Pflanzenbeete einen mit warmem Wasser gefüllteil Teich hat, in dem diese Wasserpflanzen lustig blühen. Hier werden die Blüten geschnitten, um wohlverpackt ihre Reise nach den Binde­geschäften anzutreten, aber, o weh! die Blumen schließen ihre Kelche und sind auf diese Weise kaum mehr zu verwenden. Aber auch hier wieder ein Triumph. Einige Tropfen eines hierfür besonders zusammengestellten chemischen Präparates, auf das schwammige Gewebe des Blütenbodens geträufelt, verhindern das Schließen der Blüten.

Und so finden wir die japanischeil Lilien in ihren wundervollen Formen, Farben und Zeichnungen, das ja­panische Chrysanthemum mit seinen eigenartigen Blumen, die durch die Kunst des Züchters in immer wieder neuen Formen lind Farben hervorgebracht werden, wie die keusche Blüte der Calla in ihrer fleckenlosen Weiße, ja sogar die schwarzpnrpurne Blüte der sogenannten Tranercalla (rWuin snnetuin), einer Verwandteil der bekannten Calla, und viele andre seltene und seltsame, bnntgefärbte und duftende Blumen in den Arbeitsräumen der Bindekünstler sorg­fältig aufbewahrt, um durch kniistgeübte Hand zu allerlei Formen zusammengestellt zu werden und hinausznfliegen, hier duftende Grüße, dort Trost zu bringen, dort die Sprache der Liebe zu reden.

Manchmal ist es auch eine Sorte einer artenreichen Blumengattung, die die Mode oder die Laune des Publi­kums begünstigt, eine Blüte, vielbegehrt, um dann wieder zur alltäglichen Verwendung zu gelangen oder ganz wieder vom Blumenniarkte zu verschwinden. So zum Beispiel die großblumige, weiße FedernelkeMrs. Sinkins", eine Blume von großer Schönheit, die, als Neuzüchtung noch wenig angeboten, in den allerfeinsten Vlumenarbeiten ver­wendet und gut bezahlt wurde, jetzt aber, infolge des Massen­angebotes, wohl noch sehr viel gebraucht wird, aber nur ganz geringe Preise erzielt.

Wird heute die Gardenie, morgen die Orchidee be­günstigt, so bleibt doch die Rose unbestritten die Königin in dem Blumenreiche, und Sorten wie die wunderbar geformte rosa La France, die vollendet schöne, goldgelbe Marschall Niel oder die neuere, rahmweiße Kaiserin Augnsta Viktoria, eine deutsche Züchtung, Sorten von wunderbarem Bau und herrlichen Farben, erhalten sich lange als bevorzugte Lieblinge.

Auch das Pflanzengrün findet jetzt viel mehr Verwendung in der Bindekunft als früher, und in feinsinniger An­wendung wirkt es nicht minder wie die herrlichsteil Blumen. Die zartgefärbten Zweigspitzeil in der Frühlingszeit, die satten Farben der buntblätterigeu Gehölze im Sommer oder das in wunderbaren Farben leuchtende Herbstlaub, das Koniferengrün in allen Farbentönen, vom lichten Gelb bis zum tiefen Braun lind matteil Blaugran, alles das wird zum Erzielen auffälliger oder zarter Farbenwirkungen benutzt. Auch hierin kommt immer wieder Neues in den

Handel, so daß darill eine ebenso reiche Auswahl zur Verfügung steht wie bei den Blumen, so die kräftigeil Wedel unsrer heimischen Farne und die zarteil der tropischen, die bunten Blätter der verschiedensten Warmhauspslanzen und das duftige Gerank des Zierspargels. Dieser Zier­spargel in seinen verschiedenen Arten ist in der That ein Werkstoff, wie er anmutiger nicht gedacht werden kann; hier liegt er wie zarte, grüne Schleier über dem Blnmen-

gebinde, dort windet er anmutig seine Ranken über die festlich gedeckte Tafel oder durchzieht wie duftige Wolken den strahlenden Kronleuchter. Kaum hat diese liebliche Pflanze sich eingebürgert, so ist auch schon wieder eine andre da, die sich zu gewissen Zweckeil noch besser eignet: U^Zoclium sg-ponieum, das in anmutigeil Bogen gefälligerer Form sich duftig verwenden läßt.

Ein eigentümliches Spiel des Zufalls ist es, daß das Hauptgeschäft in der Blumenbinderei und den damit ver­wandten Zweigen, Blumen- und Pflanzendekorationen, in eine Zeit fällt, wo bei uns draußen kein Blatt mehr grünt, kein Blümlein mehr blüht. Gerade zur Winterszeit, wenn Eisblumen ihre seltsameil Blattformeil auf den Fenster­scheiben ansbreiten, dann geht es in den Bindegeschäften am lebhaftesten zu. Es sind die Winterfestlichkeiten, die Weihnachts- und Neujahrstage, vielfach die auf diese Tage fallenden Verlobungen, die erhöhte Anforderungen an diese Geschäfte stellen. Wo aber um diese Zeit die Blnmen- menge hernehmen? Zwar werden in den Gewächshäusern der deutschen Handelsgärtner in großer Menge die Blumen getrieben, aber diese reichen doch bei weitem nicht ans, den großen Bedarf zu decken, und so müssen das südliche Frankreich und Italien ihre Blumenschätze liefern. Zwar dürfte die heimische Blumentreiberei immer mehr und mehr zunehmen, zumal die deutschen Schnittblumen viel ge­suchter sind als die eingeführten, sie sind, obwohl teurer, auch viel vollkommener, aber ganz wird wohl die Zufuhr aus dem Süden nicht entbehrt werden können. Nelken, Veilchen, Rosen, Reseda, Levkojen, Narzissen, Anemonen, Marguerits, Goldlack, Orangenblüten, das ist der duftende Inhalt der aus dem Südeil kommenden Sendungen, die an den Haupt­tagen, wie Weihnachten und Neujahr, massenweise an den Hauptplätzen des Blumenhandels eintresfen.

Während hier die Winterstürme tosen lind im Freien die weiche Schneedecke alles Pflanzenleben leise deckt, blüht und duftet es an den Bliimengestaden, an der Riviera, in Nizza, Bordighera und wie diese Blnmenstädte und -plätze alle heißen, aber von der Witterung und Temperatur sind auch sie nicht unabhängig. Wenn dort die Tage gar zu milde und warm sind, dann schreitet die Entwicklung der Blumen zu rasch vorwärts, so daß zur Hauptbedarfszeit die meisten Blumen, die zu dieser Zeit verschickt werden sollen, verblüht sind, und so wird alles geschnitten und verschickt und kommt in zu großen Massen zur Unzeit auf den Markt. Wenn nun auch bei uns, wie in diesem Jahre, ein so milder Winter herrscht, so kommen die Blumen viel­fach iil welkem, unbrauchbarem Zustande an, lind es kann geschehen, daß trotz der Ueberfülle von Blumen ein Mangel an brauchbarer Ware Antritt und die Blumen­züchter drüben über schlechte Zeiten zu klagen haben. Wie bei allem, was zur Jetztzeit in Massen hergestellt wird, eine Ueberproduktion hervortritt, so auch bei der Schnittblumeu- kultur, und wie hier schon der feldmäßige Anbau voll Binde­grün betriebeil wird, so befaßt sich im Südeil bereits der kleine Bauer mit der Heranzucht von Schnittblumen. Dies hat denn auch den Erfolg gezeitigt, daß die Preise so sehr ge­drückt sind, daß niemand bei diesen Kultureil die erhofften Reichtümer finden wird.

Daß die Liebe zu den Blumen und die Verwendung derselben bei Festlichkeiten noch heute recht große Summen in Umlauf bringen, das sehen wir an dem Blumenverbrauch in deil großen Städten. Berlin verausgabt während der Ball- und Festzeit im Winter in einer einzigeil Woche für Ballsträuße und -sträußchen, für Ausschmückungen der Fest- rüume mit Blumen, Topf- und Kübelpflanzen über 70 000 Mark.

Wie bereits angedeutet, ist die Ausführung von Pflanzen- dekoratiouen und Ausschmückung von Festräuinen ein wich­tiger Teil der Blumengeschäfte und erfordert einen feinen