Heft 
(1897) 09
Seite
399
Einzelbild herunterladen

Zuterilatlonale Spionage.

399

Vermittlung der politischen Polizei, eine sogenannte Conlre- ^ spionage organisiert zu sein, bei der oft gerade die ge- > geschicktesten Agenten Verwendung finden müssen. Wenn also beispielsweise der französische militärische Kundschafts­dienst in der Hand von Agenturen läge, die etwa in Belgien und in der Schweiz ihren Sitz hätten, so wäre es ganz natürlich, daß daselbst auch die deutsche Regierung ihre Beobachtungen eintreten ließe und das gewiß gut organisierte und weitverzweigte Netz der Spionage Frankreichs im Auge behielte. Und es wäre kein wunderbarer Vorgang, wenn bei dieser Gelegenheit französische Agenten, neben der Spionage gegen Deutschland, sich aus geschäftlichen Gründen herbeiließen, den deutschen Agenten Nachrichten ans Frank­reich zu übermitteln.

Wie im Kriege, sind vielleicht auch im Frieden die Doppelspione die zuverlässigsten. Sie besitzen eine Art Rückversicherung und fühlen sich in der Ausübung ihres Gewerbes um so geschützter, als die Auftraggeber immer schweigen.

Die Thatsache bestandener Doppelspionage wird oft erst nach Jahren festgestellt. Mit ihrer Möglichkeit wird aber stets gerechnet, und aus diesem Grunde pflegt man wißbegierigen Kundschaftern im Kriege gern in vertraulicher Weise möglichst viel falsche Mitteilungen über die eignen Verhältnisse und die Beurteilung der Kriegslage zu machen. Doch dies nur beiläufig.

Wer den Gegenstand ganz objektiv in Betracht zieht, wird erkennen, daß, wenn der ganze Kundschaftsdienst und die Benutzung von Spionen im Kriege wie im Frieden durch das Gesetz der Selbsterhaltung für jeden Staat zweifellos geboten ist, die hierzu entwickelte Thätigkeit nur unzuverlässige Ergebnisse liefern kann, und daß Erfahrung und Scharfsinn dazu gehören, um Wahres vom Falschen zu unterscheiden, um vor Betrug und Täuschung gesichert zu bleiben.

Wer als Laie auf diesem Gebiet erführe, welche Un­zahl von Unwahrheiten, freien Erfindungen und willkür­lichen Kombinationen von den Agenteil an den Markt ge­bracht, und mit welcher Geschicklichkeit von letzteren sei es, um sich wichtig und interessant zu machen, sei es, um Subsistenzmittel zu erwerben die Organe des Kundschafts­dienstes regelrecht beschwindelt und betrogen werden, der würde anscheinend ganz mit Recht fragen: Lohnt es, wenn die Dinge so liegen, überhaupt Geld für dergleichen aus- zugeben?

Und doch muß die Frage mit Ja beantwortet werden. Eine einzige zuverlässige wichtige Nachricht, rechtzeitig gebracht, sei es ans politischem Gebiet oder auf dem des Heerwesens, wie der Operationen im Kriege, wiegt doppelt und dreifach die für den Zweck verwendeteil Mittel auf.

Wenn nun bei der aktiven wie bei der Contrespionage es gewöhnlich nicht die reinlichsten Mittel sind, die zur Auskundschaftung voll Staatsgeheimnissen wie zur Ueber- führung von Landesverrätern von seiten der Agenten und ihrer Helfer benutzt werden, so ist es gewiß nicht wunder­bar, daß, sobald die Einzelheiten solcher Aktionen öffentlich bekannt werden, die Presse, als Hüterin der bürgerlichen Moral, dagegen Protest erhebt und, unbekümmert um die Staatsraison, die Gelegenheit eifrig benutzt, derartige Vor­gänge über die Gebühr aufzubauschen und der vielleicht schoil politisch bekämpften Regierung Verlegenheiten zu bereiten.

Aus diesem Grunde legt jede Regierung Wert darauf, daß Details über den Kundschastsdienst und die Ueber- wachung fremder Spionage der Oeffentlichkeit entzogen bleiben; jede Negierung wird daher auch falls sie durch falsche Agentenberichte getäuscht oder indirekt beschwindelt ist es lieber sehen, wenn die Schuldigen durch weiteren Verzicht auf ihre Dienste unschädlich gemacht, als wenn sie

vor Gericht gestellt und abgenrteilt werden. Geschieht letzteres, so wird der für die Organisation des ganzen Kundschafts­dienstes angerichtete Schaden bei weitem größer sein als der aus der Bestrafung eines Schwindlers für das Gesamt­wohl erwachsene Nutzen ganz abgesehen von dein be­deutenden Nachteil, den die allgemeinen Staatsintcressen erleiden, sobald die einem notwendigen Uebel anhaftenden Schattenseiten im Hellen Licht der Oeffentlichkeit weitere Verdunkelung erfahreil.

Obgleich übrigens das militärische Prozeßverfahren in Frankreich seit langen Jahren ein öffentliches ist, und dabei auch Fälle des Ausschlusses der Oeffentlichkeit vor­gesehen sind, zu denen die der genannten Prozesse ohne Frage gesetzlich gehören und völlig begründet erscheinen, ist es eine recht wundersame Erscheinung in Deutschland, daß streng konservative Blätter, die eine selbst noch be­schränktere Oeffentlichkeit bei uns für unheilvoll oder mindestens entbehrlich bezeichnen, die volle Oeffentlichkeit jener militärischen Prozesse beim Nachbar fordern. Und dabei wird diese Forderung nicht gestellt, um die Ver­dächtigung der deutschen Botschaft und Regierung aus der Welt zu schaffen denn das läßt sich auf anderm Wege erreichen, sondern aus dem menschlich begreiflichen Gefühl, endlich zu erfahren, was eigentlich los gewesen ist, wie der Verdacht gegen Dreyfus entstanden, wer das Material zu seiner Ueberführung geliefert hat, wie es beschaffen ist und so weiter.

Wenn das alles öffentlich untersucht und breitgetreten werden soll, wäre die französische Militärverwaltung ge­nötigt, zunächst einen beträchtlichen Teil der Organisation ihrer Contrespionage und vielleicht auch ihres ganzen Kund­schaftsdienstes bekannt zu machen. Da beides im wesent­lichen wie oben dargestellt beschaffen ist, würden auch die Agenten, deren Helfer und Machenschaften ans Licht ge­zogen und unter die Lupe genommen werden. Sind dabei Unvorsichtigkeiten, Uebereilungen vielleicht im direkten Verkehr mit zweifelhaften Agenten begangen, oder stellt sich gar heraus das kann ja eintreten, daß hierbei Betrügereien, Beschwindelungen mit im Spiel gewesen sind, so wächst die Zahl der Verlegenheiten für die Behörde mit jeder weiteren öffentlichen Zeugenvernehmung.

Gelänge es der Agitation, die französische Regierung aus ihrer bis jetzt behaupteten Stellung zu verdrängen, sie zu zwingen, den Prozeß Dreyfus von neuem zu ver­handeln, dann bliebe sie unhaltbar. Würde dann gar der Angeschuldigte, was bekanntlich in jedem Prozeß möglich ist, freigesprochen, möchte es mit dem Sturz des Mini­steriums allein sein Bewenden nicht haben. Plan wird in diesem Fall auf weitere Umwälzungen in den staatlichen Einrichtungen unsrer ohnehin veränderungssüchtigen Nach­barn rechnen können. Ob dergleichen für uns erwünscht oder unerwünscht wäre, mag dahingestellt bleiben.

L> e r schöne (L ö e.

Von

Anna Witter.

ch, das ewige Umsteigen und das Herumliegen auf kleinen, schmutzigen Bahnhöfen!

Frau Baumeister Käthe Menter legte übelgelaunt Reise­tasche, Schirm und Decke zur Hand, während der Zug mit der übertriebenen Vorsicht und Langsamkeit der Lokalbähnchen in D. . . einfuhr.

Aus der zweiten Klasse stieg niemand weiter, um so be­setzter schien die vierte gewesen zu sein. Frau Käthe sah sich einen Augenblick von einem Schwarm schwatzender Bauernfrauen umringt, dann stand sie allein auf dem Bahn­steig. Es lag wie Frühling in der Luft. Noch nicht der