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Ueöer Land und Weer.

Lenz mit Vogelsang und Blütenduft, aber jenes heimliche Werden und Wollen, das die Gründe erschließt, die Knospen schwellen läßt und das Blut in schnellen, heißen Wogen durch die Adern treibt.

Ein Schritt knirschte im Kies, ein fester, sporenklirrender Schritt.

Frau Käthe blickte überrascht auf: ein Offizier in diesem weltentlegeneu Nest! Und dann stutzte sie plötzlich, blinzelte und zog die Stirn in nachdenkliche Falten. Wo hatte sie das Gesicht doch schon gesehen?

Während er, die Hände in den Paletottaschen, langsam auf und nieder ging, ließ sie die Schar der Marsjünger, die sie in ihrem Leben gekannt, an sich vorübergleiten. All die Herren, die zu Lebzeiten ihres Mannes in ihrem Hanse verkehrt, die Tänzer aus der Mädchenzeit, dann die Jugend . . .

Frau Käthes Herz setzte einen Augenblick aus — sie hatte es:

„Der schöne Ede."

Unglaublich, daß ihr das Wort so laut entfahren konnte! Sie wurde sehr rot, nestelte am Schleier und warf einen erschreckten Seitenblick nach dein Offizier hinüber.

Der war mit plötzlichem Ruck stehen geblieben, that ein paar zögernde Schritte, lachte laut und herzlich, machte knapp auf dein Absatz Kehrt und stand vor ihr, die Hand ehrerbietig an die Mütze legend.

„Gnädige Frau" — um die Mundwinkel zuckte ein mühsam unterdrücktes Lächeln —, ich Hab' zwar von jeher den Namen zu Unrecht getragen, aber er ward mir nun einmal zugelegt, und da gnädige Frau..."

„Also wirklich!" Sie streckte ihm, mädchenhaft be­sangen, die Hand hin.

Wie er sie küßle und sich dann zu stattlicher Höhe auf­richtete, maßen sie sich mit dem scharf prüfenden Blick, der die Spur vergangener Jahre in einst vertrauteil Zügen sucht.

Frau Käthe nickte unwillkürlich: fast dasselbe Gesicht wie einst. Die energisch vorspringeude Nase, die freie Stirn, die lustigen braunen Augen. Einen Schein dunkler, nachdenklicher sind sie geworden, und zwischen den Brauen ziehen sich zwei feine, haarscharfe Falten aufwärts, aber der hübsche, offene Ausdruck ist geblieben — alles in allem „der schöne Ede" von einst.

„Zufrieden?"

Wie er ihre Gedanken erraten hatte! Die dumme Schul- mädchenröte flog ihr wieder um Wangen und Ohren, die Erinnerungen wurden gar so lebendig. Und es war da so manches zwischen ihm und ihr. . .

„Sie habeil sich wenig verändert," gab sie zu, „ich er­kannte Sie sofort, nur der Name wollte mir nicht gleich Un­fällen; es ist gar so lauge her, seit ich ihn zuletzt gehört. Sie aber wären ruhig an mir vorbeigegangen."

„Ja, gnädige Frau, es ist auch schlechterdings unmög­lich, das Kind von ehemals in Ihren Zügen wiederzufinden."

„Hoffentlich!" Sie lachte amüsiert. „Es wäre auch keine Schmeichelei für mich, wenn Sie das Gegenteil be­haupteten. Die Mauserzeit ist niemals vorteilhaft, und ich mag damals nichts weniger als hübsch gewesen sein."

„Hübsch? Nein! Es war ganz etwas andres. Ich hatte nie aus Sie geachtet. . . Sie waren mir noch zu klein . . . Und dann auf einmal... der Abend in der Ulmenecke ..."

Er verstummte verlegen — daran konnte er sie unmög­lich erinnern!

Und dann jagte ihm eine heiße kleine Blutwelle durchs Gesicht, wie er die schlanke Frauengestalt da vor sich sah. Zu denken, daß diese weichen Arme sich einmal um seinen Hals gelegt, daß er den roten Mund dort geküßt, in lauer Sommernacht, im stillen, blühenden Garten . . .

Als er der Ulmenecke erwähnte, hatte sie sich nach der

Reisetasche gebückt, die noch neben ihr im Sande stand. Nun sah sie nach der Uhr — das kleine, blitzende Ding zitterte merklich in ihrer Hand.

„Noch fünf Minuten."

„Gnädige Frau fahren nach Berlin?"

„Ja."

Es lag wie Jubel in dein Wort, die konzentrierte Sehn­sucht langer, öder Wochen.

Er überlegte blitzschnell. Mitsahren? Wein: das ginge! Allein mit ihr im Coups — in diesen Bummelzügen fuhr­st: kein Mensch — drei Stunden ihr gegenüber in engem Raum — alte Erinnerungen auskramen — zerrissene Fäden wieder anknüpfen. Aber der Dienst, der Dienst! Un­möglich !

„Wer doch mitkönnte!"

Er hatte es laut gesagt, und es klang so viel ehrliches Verlangen, solch schwerer Verzicht hindurch, daß ihr Herz schneller schlug.

Daun besannen sie sich, daß sie die armen fünf Minuten ausnutzen müßte!:. Sie plauderten hastig von vergangener

Zeit.

Seine Freunde, ihre Freundinnen — alle wurden dnrch- genommen. Viele waren untergetaucht im Meere der Ver­schollenheit, zu andern boten sich noch hie und da Be­ziehungen, mit wenigen war man vertraut geblieben.

Wie's den Brüdern ginge?

Die wären seit Jahren drüben in Amerika, hätten Weib und Kind.

„Nicht möglich!"

Frau Käthe streifte mit blitzschnellem Seitenblick seine Hand — er trug keinen Ring.

Nach allem fragte er, und ihr wurden die Augen feucht, während sie berichtete, daß der Vater schon lange, lauge tot und das schöne Besitztun: längst in andre Hände tiber- gegangen wäre.

Noch einmal, nach Jahren, sei sie im Garten gewesen, voll Sehnsucht, die Stätte der Kindheit wiederzusehen. Es war aber eine bittere Enttäuschung gewesen. Alles ver­wahrlost und verwildert, die große Linde abgestorben, die Wege verwachsen . . .

Ach ja, der Garten! — Sie schwiegen beide beklommen still, die Ulmenecke tauchte schwül, dämmernd vor ihnen ans.

Hastig fragte er nach ihren: Leben. Das Wesentliche wußte er schon von andern:, die ihr kurzes Glück und dessen jähen Zusammenbruch miterlebt. Sie hatten alle teilgenommen damals, er auch. Ja, wahrhaftig, er auch! Es klang treu­herzig, wie er es ihr versicherte.

Wie sie sich ihr Leben hinterher eingerichtet habe?

Du lieber Gott, da sei wenig zu erzählen!

Ein einförmiges Dasein in kleiner Stadt, zwei oder drei liebe Menschen, mit denen sie plaudern könne, ein- oder zweimal in: Jahre nach Berlin — vollä, tout.

In die Gesprächspause hinein pfiff der Zug, es war Zeit, einzusteigen. Sie lächelte dankbar, wie er sich be­mühte, ihr in: Coups ein wenig Behaglichkeit zu schaffen.

Dann beugte er sich abschiednehmend auf ihre Hand, und sie ließ das Fenster herunter, ihm noch eii: allerletztes freundliches Wort zu sagen. ^

Wie der Zug sich langsam in Bewegung setzte, hielt er mit leuchtenden: Blick ihr Auge fest:

„Auf Wiedersehen!"

„Auf Wiedersehen," nickte sie und grüßte mit der Hand, solange sie die Gestalt des Jugendfreundes noch erkennen konnte.

Dann lehnte sie sich aufseufzend in die Kissen.

„Vorüber!"

Wie ihr die Kindheit lebendig geworden war im Ge­plauder mit ihm!

Das Elternhaus, weit draußen vor der Stadt, der