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Louise Dumont.
„Du wirst's mal wieder oberschlau angefaugeu haben."
Aber sie bekam keine Antwort mehr.
Nach einer ganzen Weile, als Mieze längst schlief, kletterte Käthe mit verweintem Gesicht aus dem Bett, schlich sich zur Schwester hin und küßte sie leise und inbrünstig.
Die junge Frau in der Wagenecke fuhr mit Hellen Augen in die Höhe. Draußen huschten unzählige Lichter vorbei — Berlin!
Schon? Wie man die Zeit verträumen konnte!
Während sie das Gepäck zusammeurückte und die Handschuhe wechselte, wanderten ihre Gedanken immer wieder in jene ferne, ferne Zeit zurück.
Sie hatte den schönen Ede kaum wieder gesprochen damals, so sehr er es auch darauf anlegte, mit ihr zusammenzukommen. Zwischen Mieze und ihm war seit jenem Tage eine Entfremdung eingetreten, wohl durch seine Schuld; Mieze machte ein böses Gesicht, wenn sein Name genannt wurde. Und dann ging er bald darauf von C. . . fort, um sich zu»! Fähnrich vorzubereiten, für die Mädchen kam die Pensionszeit, man verlor sich gegenseitig aus den Angen.
Ein einziges Mal hatte sie ihn wiedergesehen in seiner schmucken Uniform, doch sie war glückliche Braut damals und hatte nur einen flüchtigen Gruß für ihn. Kaum, daß ihr eine Erinnerung an die Kindertage kam.
Und nun heute — wie wunderbar, dies Begegnen auf dem Bahnhof des Landstädtchens!
Wie viel wunderbarer noch dies Drängen und Stürmen des .Herzens, das fo lange still und regungslos in der Brust gelegen!
„Auf Wiedersehen!"
War's mehr als die übliche Abschiedsphrase? Vielleicht das fehlende Glied der Kette, Vergangenheit und Zukunft aneinander zu schließen?
Hatte sie noch eine Zukunft?
Frau Käthe strich leise über den Doppelring an ihrer Hand. Ter sollte eigentlich alles umschließen, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft!
Aber sie war noch fo jung! Und mit einein Glücksgefühl ohnegleichen blickte sie hinein in das blendende Licht der Friedrichsstraße.
-ft
Späte Nacht. — In Frau Küthes Schlafzimmer waren die Fenster dicht verhangen, sie selbst aber stand vor dem Spiegel im offenen Haar, kämmte drei widerspenstige Löckchen in die Stirn und lächelte. Dann sprengte sie ein paar Tropfen Heliotrop über die weißen Arme.
Plötzlich löschte sie das Licht und suchte im Dunkeln ihr Bett.
Lange noch lag sie so mit offenen Augen, und ihr war, als müsse sie wie einst zur Schwester schleichen, sie zu küssen.
Aber sie brauchte niemand mehr abzubitten, daß sie an den schönen Ede gedacht. Niemand mehr!
Louise Du wo nt.
(Siehe das Bildnis Seite 404.)
as Deutsche Theater in Berlin hat einen großen Verlust erlitten: Agnes Sorma ist aus dem Verbände dieser Bühne getreten, um an der Spitze einer von ihr zusammengestellten Truppe ein künstlerisches Wanderleben zu beginnen. Daß Direktor Brahm weiß, wie viel der Verlust dieser Künstlerin für ihn bedeutet, hat er gezeigt, in dem er die stärkste Individualität unter den Bühnenkünstlerinnen der Gegenwart, Louise Dumont, auf Jahre hinaus für das Deutsche Theater verpflichtete. In
Neber Land und Meer. Jll. Okt.-Hefte. XIV. g.
Sudermanns „Johannes" wirkten die beiden Künstlerinnen, die scheidende und die kommende Trägerin des Repertoires des Deutschen Theaters, noch nebeneinander, Agnes Sorma als „Salome", Louise Dumont als „Herodias". In seiner Besprechung der ersten Aufführung des Stückes nannte Fritz Mauthner die letztere kurz, bündig und treffend, wenn auch ein wenig burschikos: „ein Staatsweib!" Man kann Frau Sorma entzückend, hinreißend, bezaubernd, ammutig und sehr vielseitig finden, aber der Versuchung, sie „ein Staatsweib" zu nennen, wird niemand erliegen. Das charakterisiert den Unterschied zwischen den beiden ganz verschiedenartigen künstlerischen Individualitäten, es giebt auch zugleich einen Fingerzeig, nach welcher Richtung hin sich das Repertoire des Deutschen Theaters durch den Verlust von Agnes Sorma und durch den Gewinn von Louise Dumont verschieben wird. Louise Dumont ist die geborene Heroine; die jede Seelenregung widerspiegelnden Züge, die hoheitsvolle Erscheinung und ein wundervolles Organ prädestinieren sie sür die Wiedergabe starker Leidenschaften. Aber sie ist keine Schülerin der großen Tragödinnen einer in ihren: Stil abgeschlossen hinter uns liegenden Darstellungsepoche, der Ziegler, Wolter, Ulrich und andrer großer Namen. Ein scharfer Verstand und ein ganz ausgeprägtes modernes Empfinden beleben in erster Linie die von ihr dargestellten Rollen, und niemals drang eine Künstlerin fo tief in das Seelenleben einer Hebbelschen Judith und Jbsenscher Frauengestalten ein wie sie. Die schöne Sprache, die plastische Pose sind ihr nur Mittel zum Zweck der Darstellung, niemals Endzweck. Dieser Endzweck heißt ihr volle, ergreifende, ungekünstelte Lebenswahrheit ! Der Stuttgarter Bildhauer Karl Donndorf jr., ein Sohn des Professors A. v. Donndorf, der die von uns in: Bilde wiedergegebene Büste der berühmten Künstlerin modellierte, hat die schwierige Aufgabe, diesen Kopf mit seinen: schnell wechselnden Gesichtsausdruck festzuhalten, meisterhaft gelöst. Der Künstler hat die Büste polychrom behandelt; den Hintergrund mit den Symbolen des Künstlerloses, dem Lorbeer und den: Distelzweig, in graugrüner Tönung, von der sich die drei Parze:: an: Sockel in Bronze abheben, während der gelblich getönte Kopf mit dem dunkleren Haar sich scharf auf Goldgrund markiert. Nach Fertigstellung einer Büste der verstorbenen Großherzogin von Sachsen wird der junge Künstler, von dessen genialer Begabung bereits die von dem Museum der bildenden Künste in Stuttgart angekaufte Statue eines sitzenden Jünglings, die Büsten des verstorbenen Erbgroßherzogs von Sachsen, der Professoren Stoy in Jena und Faißt in Stuttgart und andre Arbeiten ein glänzendes Zeugnis ablegten, für einige Zeit von Stuttgart nach Paris übersiedeln. Otto Preuß.
Die Asche.
Von
Wobert Wohl'.
er kennt nicht die Sage von der versunkenen Stadt, deren Einwohner durch bösen Lebenswandel das Strafgericht des Himmels auf sich herabbeschworen haben? In stillen Vollmondnächten können gläubige Augen die vergoldeten Turmspitzen in der Tiefe blinken sehen, ein gläubiges Ohr die nachzitternden Klänge traumhafter Glocke:: verhallen hören. Und wer immer mit gläubigem Gemüte lang und scharf hinunterfpäht in die grünliche Tiefe, der kann die unseligen Verzauberten in Fischgestalt erblicken, wie sie, ohne Ruhe zu finden, lautlos und glotzäugig durch die weiten Straßen huschen — die Ratsherren, die Magistratspersonen und ehrsam würdigen Bürger als feiste Karpfen, die Steuereinnehmer und Polizeileute in gierige Hechte, kniffige Advokaten in glatte Aale verwandelt, die eitel:: Frauen als
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