Heft 
(1897) 11
Seite
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her, wo man mit einem Franzosen ungeniert sprechen und nach einer guten Firma sragen konnte. Waren Sie siebzig noch mit dabei?"

Ja, so halb. Eigentlich auch das kaum. Aus meinem Regiment war ich lange heraus. Nur als Johanniter."

Ganz wie ich selber."

Eine wundervolle Zeit dieser Winter siebzig," fuhr Dubslav fort,auch rein persönlich angesehn. Ich hatte damals das, was mir zeitlebens nicht gerad' absolut, aber doch mehr als wünschenswert ge­fehlt hatte: Fühlung mit der großen Welt. Es heißt immer, der Adel gehöre auf feine Scholle, und je mehr er mit der verwachse, desto besser sei es. Das ist auch richtig. Aber etwas ganz Richtiges giebt es nicht. lind so muß ich denn sagen, es war doch was, den alten Wilhelm so jeden Tag vor Augen zu haben. Hab' ihn freilich damals nie gesprochen, immer nur gesehn, aber auch das war schon eine Herzensfreude. Sie nennen ihn jetzt den,Großen'und stellen ihn neben lA1äericu8 Ilex. Nun, so einer war er sicherlich nicht, an den reicht er nicht 'ran. Aber als Mensch war er ihm über, und das giebt, mein' ich, doch den Ansschlag, wenn auch Zur ,Größe' noch was andres gehört. Ueberhaupt find' ich, daß wir dem alten Fritzen gegenüber eine falsche Stellung einnehmen, gerade wir vom Adel. Er war nicht so sehr für uns, wie wir immer glauben oder wenigstens nach außen hin versichern. Er war für sich und für das Land oder, wie er zu sagen liebte, Für den Staat'. Aber daß wir als Stand und Kaste so recht was von ihm gehabt hätten, das ist eine Einbildung."

Ueberrascht mich, aus Ihrem Munde zu hören."

Ist aber doch wohl richtig. Wie lag es denn eigentlich? Wir hatten die Ehre, für König und Vater­land hungern und dursten und sterben zu dürfen, find aber nie gefragt worden, ob uns das auch passe. Nur dann und wann erfuhren wir, daß wir ,Edelleute' seien und als solche mehr ,Ehre' hätten. Aber damit war es auch gethau. In seiner innersten Seele rief er uns eigentlich genau dasselbe zu, wie den Grenadieren bei Torgau. Wir waren Rohmaterial und wurden von ihm mit meist sehr kritischem Auge betrachtet. Alles in allem, lieber Graf, find' ich unser Jahr dreizehn eigentlich größer, weil alles, was geschah, weniger den Befehlscharakter trug und alles mehr Freiheit und Selbstentschließung hatte. Ich bin nicht für die patentierte Freiheit der Partei­liberalen, aber ich bin doch für ein bestimmtes Maß von Freiheit überhaupt. Und wenn mich nicht alles täuscht, so wird auch in unfern Reihen der Glaube lebendig, daß wir uns dabei, auch rein praktisch­egoistisch, am besten stehn."

Der alte Varby freute sich sichtlich dieser Worte. Dubslav aber fuhr fort:Uebrigens, das muß ich sagen dürfen, lieber Graf, Sie wohnen hier brillant an Ihrem Kronprinzenufer; ein entzückender Blick, und Fremde würden vielleicht kaum glauben, daß an unsrer alten Spree so was Hübsches zu finden fei. Die Nieder- lassungs- und speziell die Wohnungsfrage spielt immer mit, wo sich's um Glück und Behagen handelt, und gerade Sie, der Sie so lange draußen waren, werden,

ehe Sie dies Vis-a-vis von unsrer Jungfernheide wählten, nicht ohne Bedenken gewesen sein. In Be­zug auf die Landschaft gewiß und in Bezug auf die Menschen vielleicht."

Sagen wir, auch da gewiß. Ich hatte wirklich solche Bedenken. Aber sie find niedergekämpft. Vieles gefiel mir nicht, als ich aus der Fremde wieder nach hier zurückkam, und vieles gefällt mir auch noch nicht. Ueberall ein zu langsames Tempo. Wir haben in jedem Sinne zu viel Sand, und wo viel Sand ist, da will nichts recht vorwärts, immer bloß hüh und hott. Aber dieser Sandboden ist doch auch wieder tragfähig, nicht glänzend, aber sicher. Er muß nur, und vor allem der moralische, die richtige Witterung haben, also zu rechter Zeit Regen und Sonnenschein. Und ich glaube, Kaiser Friedrich hält' ihm diese Witterung gebracht."

Ich glaub' es nicht," sagte Dubslav.

Meinen Sie, daß es ihm schließlich doch uicht Ernst mit der Sache war?"

O nein. Es war ihm Ernst, ganz und gar. Aber es würd' ihm zu schwer, zu bitter gemacht worden sein. Rund heraus, er wäre gescheitert."

Woran?"

An seinen Freunden vielleicht, an seinen Fein­den gewiß. Und das waren die Junker. Es heißt immer, das Junkertum sei keine Macht mehr, die Junker fräßen den Hohenzollern aus der Hand, und die Dynastie züchte sie bloß, um sie für alle Fälle parat zu haben. Und das ist eine Zeit lang viel­leicht auch richtig gewesen. Aber heut ist es nicht mehr richtig, es ist heute grundfalsch. Das Junker­tum (trotzdem es vorgiebt, seine Strohdächer zu flicken, und sie gelegentlich vielleicht auch wirklich flickt), dies Junkertum und ich bin inmitten aller Loyalität und Devotion doch stolz, das sagen zu können hat in dem Kampf dieser Jahre kolossal an Macht gewonnen, mehr als irgend eine andre Partei, die Sozialdemokratie kaum ausgeschlossen, und mitunter ist mir's, als stiegen die seligen Quitzows wieder ans dem Grabe herauf. Und wenn das geschieht, wenn unsre Leute sich auf das be­sinnen, worauf sie sich seit über vierhundert Jahren nicht mehr besonnen haben, so können wir was er­leben. Es heißt immer: ,unmöglich'. Aber bah,

was ist unmöglich? Nichts ist unmöglich. Wer hätte vor dem 18. März den ,18. März' für mög­lich gehalten, für möglich in diesen: richtigen Philifter- nest Berlin! Es kommt eben alles mal an die Reihe; das darf nicht vergessen werden. Und die Armee! Aber jeder glückliche General ist immer eine Gefahr! Und unter Umständen bilden eine solche Gefahr auch noch andre Glückliche! Sehen Sie sich den alten Sachsenwalder an, den Zivil- Wallenstein."

Und Sie glauben," warf der Graf hier ein, an dieser scharfen Quitzow-Ecke wäre Kaiser Friedrich gescheitert?"

Ich glaub' es."

Hm, es läßt sich hören. Und wenn so, so wür' es schließlich ein Glück, daß es anders kam und daß wir nicht vor diese Frage gestellt worden sind."