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Ueber Land und Meer.
„Ich habe mit meinem Woldemar, der einen stark liberalen Zug hat (ich kann es nicht loben und mag es nicht tadeln), oft über diese Frage gesprochen. Er war natürlich für Neuzeit, also für Experimente. Nun hat er inzwischen das bessere Teil erwählt, und während wir hier sprechen, ist er schon über Trebbin weg. Sonderbar, ich bin nicht allzu viel gereist, aber immer, wenn ich an diesem Neste vorbei kani, hatt' ich das Gefühl: ,jetzt wird es besser, jetzt bist du frei'. Ich kann sagen, ich liebe die ganze Sand- büchse da herum, und bloß aus diesem Grunde."
Der alte Gras lachte behaglich. „Und Trebbin wird sich von dieser Ihrer Schwärmerei nichts träumen lassen. Uebrigens haben Sie recht. Jeder lebt Zn Hause mehr oder weniger wie in einen: Gefängnis. Und doch bin ich eigentlich gegen das Reisen und speziell gegen die Hochzeitsreiserei. Wenn ich so Personen in ein Coupe nach Italien einsteigen sehe, so kommt nur immer ein Dankgefühl, dieses ,höchste Glück aus Erden' nicht mehr mitmachen zu müssen. Es ist doch eigentlich eine Qual, die man sich auserlegt, und man wird auch wieder davon zurückkommen; über kurz oder lang wird man nur noch reisen, wie man in den Krieg zieht oder in einen Luftballon steigt, bloß von Berufs wegen. Das hat dann einen Sinn. Aber nicht um des Vergnügens willen. Und wozu denn auch? In alten Zeiten ging der Prophet zum Berge, jetzt kommt allerorten der Berg aus uns zu. Das Beste vom Parthenon sieht man jetzt in London und das Beste von Pergamnm in Berlin, und wäre man nicht so nachsichtig mit den lieben, nie zahlenden Griechen verfahren, so könnte man sich, sagen wir am Kupser- graben, im Laufe des Vormittags in Mykenä und nachmittags in Olympia ergehn."
„Ganz Ihrer Meinung, teuerster Gras. Aber doch Zugleich auch ein wenig betrübt, Sie so dezidiert gegen alle Neiserei Zn finden. Ich stand nämlich ans dem Punkte, Sie nach Stechlin hin einzuladen, in meine alte Kate, die meine guten Glob- sower unentwegt ein ,Schloß' nennen."
„Ja, lieber Stechlin, das ist was andres. Und um Ihnen ganz die Wahrheit Zu sagen, wenn Sie mich nicht eingeladen hätten (eigentlich ist es ja noch nicht geschehn, aber ich greise knhnlich vor), so hätt' ich mich Lei Ihnen angemeldet. Das war schon lange mein Plan."
In diesem Augenblicke ging draußen die Klingel. Es war Melusine.
„Bringe den Vätern, respektive Schwiegervätern allerschönste Grüße. Die Kinder sind jetzt mutmaßlich schon über Wittenberg, die große Luther- und Apfelkuchenstation, hinaus und in weniger als zwei Stunden in Dresden. O diese Glücklichen! Und dabei verwett' ich mich, Armgard hat bereits Sehnsucht. Vielleicht nach mir."
„Kein Zweifel," sagte Dubslav. Die Gräfin selbst aber fuhr fort: „Ehe man nämlich ganz Abschied von dem alten Leben nimmt, sehnt man sich noch einmal gründlich danach zurück. Freilich, Schwester Armgard wird weniger davon empfinden als andre. Sie hat eben den liebenswürdigsten und besten
! Mann, und ich könnt' ihn ihr beinah' beneiden,
! trotzdem ich noch im Abschiedsmoment einen wahren Schreck kriegte, weil ich ihn sagen hörte, daß er morgen vormittag mit der armen Armgard vor die Sixtinische Madonna treten wolle. Bei welchen Worten er noch dazu wie verklärt aussah. Und das find' ich einfach unerhört. Warum unerhört, werden Sie mich vielleicht fragen. Nun denn, weil es erstens eine Beleidigung ist, sich auf eine Madonna so extrem Zu freuen, wenn man eine Braut oder gar eine junge Frau zur Seite hat, und zweitens, weil dieser geplante Galeriebesuch ein Mangel an Disvo- sition bedeutet, der mich für Woldemars ganze agrarische Zukunft besorgt machen kann. Denn richtige ,Dispositionen', wie man mir sagt, sind in der ! Landwirtschaft alles. Aber lassen wir, was kommt, und bleiben wir bei der Gegenwart. Jedenfalls fährt er jetzt in das Land der Madonnen hinein und will da doch mutmaßlich mit frischen Kräften ^ antreten; wenn er sich aber schon in Deutschland etappenweise vertrödelt, so wird er, wenn er in Rom ist, wohl sein Programm ändern müssen, und statt im Palazzo Borghese zu schwelgen, nebenan im Cafe Eavour eine Berliner Zeitung lesen. Wir werden nämlich jetzt Weltstadr und wachsen mit unsrer Presse dann und wann schon über Eharlotten- bnrg hinaus. . . Uebrigens läßt auch die Baronin bestens grüßen. Eine reizende Frau, Herr von Stechlin, die grad Ihnen gefallen würde. Glaubt eigentlich gar nichts und geriert sich dabei streng katholisch. Das klingt widersinnig und ist doch richtig und reizend Zugleich. All die Süddeutschen sind überhaupt viel netter als wir, und die nettesten, weil die natürlichsten, sind die Bayern."
XXXVI.
Der alte Dubslav, als er bald nach elf ans seinem Granseer Bahnhof eintras, fand da Martin und seinen Schlitten bereits vor. Engelke hatte zum
Glück für warme Sachen gesorgt, denn es war inzwischen recht kalt geworden. Im ersten Augenblick that dem Alten, in dessen Coupö die herkömmliche Stickluft gebrütet hatte, der draußen wehende Ost- wiud wohl, sehr bald aber stellte sich ein Frösteln ein. Schon tags zuvor, bei Beginn seiner Reise, war ihm nicht recht wohl gewesen, Kopsweh, Druck ans die Schläfe; jetzt war derselbe Zustand wieder da. Trotzdem nahm er's leicht damit und sah in das Sternengeslimmer über ihm. Die wie Riesenbesen ansragenden Pappeln warfen dunkle, groteske Schatten über den Weg, während er die nach links und rechts hin liegenden toten Schneeselder mit den wechselnden Bildern alles dessen belebte, was ihm der zurückliegende Tag gebracht hatte. Ta sah er wieder die mit rotem Teppich belegte Hotel- Marmortreppe samt dem Oberkellner in Gesaudt- schaftsattachehaltung, und im nächsten Augenblicke den Küster der Garnisonkirche, den er anfänglich für einen als Gast geladenen Konsistorialrat gehalten hatte. Daneben aber stand die blasse, schöne Braut und die reizende, bieg- und schmiegsame Melusine. „Ja, der alte Barby, wenn er ans die sieht, der hat's gut, der kann es