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Stechlin.
aushalten. Immer einen guten und klugen Menschen um sich Haben, immer was hören und sehen, was einen anlacht und erquickt, das ist was. Aber ich! Ich für mein Teil, gleichviel ob mit ob ohne Schuld, ich war immer nur auf ein Pflichtteil gesetzt, — als Kind, weil ich faul war, und als Lieutenant, weil ich nicht recht was hatte. Dann kam ein Lichtblick. Aber gleich danach starb sie, die mir Stab und Stütze hätte fein können, und durch all die dreißig Jahre, die seitdem kamen und gingen, blieb mir nichts als Engelke (der noch das beste war) und meine Schwester Adelheid. Gott verzeih mir's, aber ein Trost war die nicht; immer bloß herbe wie 'n Holzapfel."
Unter solchen Betrachtungen fuhr er in das Dorf ein und hielt gleich danach vor der Thür seines alten Hauses. Engelke war schon da, half ihm und that sein Bestes, ihn ans der schweren Wolfsschur heransznwickeln. Der immer noch Fröstelnde stapfte dabei mit den Füßen, warf seinen Staatshut — den er unterwegs, weil er ihn drückte, wohl hundertmal verwünscht hatte — mit ersichtlicher Befriedigung beiseite und sagte gleich danach beim Eintreten in sein Zimmer: „Ach, das is recht, Engelke. Du hast ein Feuer gemacht; du weißt, was einem alten Menschen paßt. Aber es reicht noch nicht aus. Ob wohl unten noch heißes Wasser ist? So 'n fester Grog, der sollte mir jetzt gut thnn; ich friere Stein und Bein."
„Heiß Wasser is nich mehr, gnädiger Herr. Aber ich kann ja 'ne Kasseroll' aufstellen. Oder noch besser, ich hole den Petroleumkocher."
„Nein, nein, Engelke, nicht so viel Umstände. Das mag ich nicht. Und den Petroleumkocher, den erst recht nich; da kriegt man bloß Kopsweh, und ich habe schon genug davon. Aber bringe mir den Cognac und kaltes Wasser. Und wenn man dann so halb und halb nimmt, dann is es so gut, als war' es ganz heiß gewesen."
Engelke brachte, was gefordert, und eine Viertelstunde danach ging Dubslav zu Bett.
Er schlief auch gleich ein. Aber bald war er wieder wach und drnste nur so hin. So kam der Morgen heran.
Als Engelke zu gewohnter Stunde das Frühstück brachte, schleppte sich Dubslav mühsamlich von seinem Schlafzimmer bis an den Frühstückstisch. Aber es schmeckte ihm nicht. „Engelke, mir ist schlecht; der Fuß ist geschwollen, und das mit dem Cognac gestern abend war auch nicht richtig. Sage Martin, daß er nach Gransee fährt und Doktor Sponholz mitbringt. Und wenn Sponholz nicht da ist — der arme Kerl kutschiert in einem fort rum; ohne Landpraxis geht es nicht —, dann soll er warten, bis er kommt."
Es traf sich so, wie Dubslav vermutet hatte; Sponholz war wirklich ans Landpraxis und kam erst nachmittags zurück. Er aß einen Bissen und stieg dann auf den Stechliner Wagen.
„Na, Martin, was macht denn der gnäd'ge Herr?"
„Joa, Herr Doktor, ick möt doch seggen, he seiht en beten verännert ut; em wihr schon nich so recht letzten Sünndag un doa müßt' he joa nu grad nach Berlin. Un ick weet schon, wenn ihrst een' nach Berlin muß, denn is ook ümmer wat los. Ick weet nich, wat se doa mit 'n ollen Minschen moaken."
„Ja, Martin, das is die große Stadt. Da übernehmen sie sich dann. Und dann war ja auch Hochzeit. Da werden sie wohl ein bißchen gepichelt haben. Und vorher die kalte Kirche. Und dazu so viele seine Damen. Daran ist der gnäd'ge Herr nicht mehr gewöhnt, und dann will er sich berappeln und strengt sich an, und da hat man dann gleich was weg."
Es dämmerte schon, als der kleine Jagdwagen aus der Rampe vorsuhr. Sponholz stieg aus und Engelke nahm ihm den grauen Mantel mit Doppelkragen ab und auch die hohe Lainmsellmütze, drin er — freilich das einzige an ihm, das diese Wirkung ausüben konnte — wie ein Perser aussah.
So trat er denn bei Dubslav ein. Der alte Herr saß an seinem Kamin und sah in die Flamme.
„Nun, Herr von Stechlin, da bin ich. War über Land. Es geht jetzt scharf. Jeder dritte hustet und hat Kopfweh. Natürlich Influenza. Ganz verdeubelte Krankheit."
„Na, die wenigstens Hab' ich nicht."
„Kann mail nicht wissen. Ein bißchen fliegt jedem leicht an. Nun, wo sitzt es?"
Dubslav wies auf sein rechtes Bein und sagte: „Stark geschwollen. Und das andre fängt auch an."
„Hm. Na, wollen mal sehen. Darf ich bitten?"
Dubslav zog sein Beinkleid heraus, den Strumpf herunter und sagte: „Da is die Bescherung. Gicht ist es nicht. Ich habe keine Schmerzen . . . Also was andres."
Sponholz tippte mit dem Finger auf dem geschwollenen Fuß herum und sagte dann: „Nichts von Belang, Herr von Stechlin. Einhalten, Diät, wenig trinken, auch wenig Wasser. Das verdammte Wasser drückt gleich nach oben, und dann haben Sie Atemnot. Und von Medizin bloß ein paar Tropfen. Bitte, bleiben Sie sitzen; ich weiß ja Bescheid hier." Und er ging au Dubslavs Schreibtisch heran, schnitt sich eül Stück Papier ab und schrieb sein Rezept. „Ihr Kutscher, das wird das beste sein, kann bei der Apotheke gleich mit Vorfahren."
Im Vorflur, nach Verabschiedung von Dubslav, fuhr Sponholz alsbald wieder in seinen Mantel. Engelke half ihm und sagte dabei: „Na, Herr Doktor?"
„Nichts, nichts, Engelke."
Martin und der Jagdwagen hielten noch wartend aus der Rampe draußen, und so ging es denn in rascher Fahrt wieder nach der Stadt zurück, von wo der alte Kutscher die Tropfen gleich mitbringen sollte.
Der Winterabend dämmerte schon, als Martin wieder zurück war und die Medizin an Engelke abgab. Der brachte sie seinem Herrn.
„Sieh mal," sagte dieser, als er das rundliche Fläschchen in Händen hielt, „die Granseer werden jetzt auch sein. Alles in rosa Seidenpapier