Heft 
(1897) 11
Seite
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flleber Land und Meer.

Liebste Melusine, wie beklag' ich Sie; wirklich, teuerste Freundin, und ganz aufrichtig. Aber so gleich ein Tunnel. Es ist doch auch wie ein Schicksal."

Rex und Czako hatten sich, unmittelbar nach Ueberreichung ihrer Bouquets, vom Bahnhof her in die Königgrätzerstraße zurückgezogen, und hier an­gekommen sagte Czako:Wenn es Ihnen recht ist, Rex, so gehen wir bis in das Restaurant Bellevue."

Tasse Kaffee?"

Nein; ich möchte gern was Ordentliches essen. Drei Löffel Suppe, 'ne Forelle oa miniatur-o und ein Poulardenflügel, das ist zu wenig für meine Verhältnisse. Rund heraus, ich habe Hunger."

Sie werden sich Zu gut unterhalten haben."

Nein, auch das nicht. Unterhaltung sättigt übrigens, wenigstens Menschen, die wie ich aufs Geistige gestellt sind. Ein bißchen mag ich aber an z meinem elenden Zustande selbst schuld sein. Ich habe nämlich immer nur die Gräfin angesehn und begreife nach wie vor den Stechlin nicht. Nimmt da die Schwester! Er hatte doch am Ende die Wahl. Der kleine Finger der Gräfin (und ihr kleiner Zeh' nun schon ganz gewiß) ist mir lieber als die ganze Comtesse."

Czako, Sie werden wieder frivol."

XXXlV.

Unter den Hochzeitsgästen hatte sich, wie schon kurz erwähnt, auch ein IX. Pusch befunden, ein gewandter und durchaus weltmännisch wirkender Herr mit gepflegten:, aber schon angegrautem Backen­bart. Er war vor etwa fünfundzwanzig Jahren an der Assessorecke gescheitert und hatte damals nicht Lust gehabt, sich ein zweites Mal in die Zwickmühle nehmen Zu lassen.Das Studium der Juristerei ist langweilig und die Carriere hinterher miserabel" so war er denn als Korrespondent für eine große rheinische Zeitung nach England gegangen und hatte sich dort auf der deutschen Botschaft einzuführen gewußt. Das ging so durch Jahre. Ziemlich um dieselbe Zeit aber, wo der alte Gras seine Londoner Stellung ausgab, war auch IX. Pusch wieder flügge geworden und hatte sich nach Amerika hinüber begeben. Er fand das Freie dort freier, als ihm lieb war, und kehrte sehr bald, nachdem er es erst in New Jork, dann in Chicago versucht hatte, nach Europa zurück. Und zwar nach Deutschland.Wo soll man am Ende leben?" Unter dieser Betrachtung nahm er schließlich in Berlin wieder seinen Wohnsitz. Er war ungeniert von Natur und ein klein wenig überheblich. Als wich­tigstes Ereignis seiner letzten sieben Jahre galt ihm sein Uebertritt vom Pilsener zum Weihenstephan. Sehen Sie, meine Herren, vom Weihenstephan Zum Pilsener, das kann jeder; aber das Umgekehrte, das ist was. Chinesen werden christlich, gut. Aber wenn ein Christ ein Chinese wird, das ist doch immer noch eine Sache von Belang."

Pusch, als er sich in Berlin niederließ, hatte sich auch bei den Barbys wieder eingeführt; Melusine entsann sich seiner noch, und der alte Graf war froh, die zurückliegenden Zeiten wieder durchsprechen

und von Sandrigham und Hatfieldhonse, von Chats­worth und Pembroke-Lodge plaudern Zu können. Eigentlich paßte der etwas weitgehende Ungeniert- heitston, in dem der Doktor seiner Natur wie seiner New Jorker Schulung nach zu sprechen liebte, nicht sonderlich zu den Gepflogenheiten des alten Grafen; aber es lag doch auch wieder ein Reiz darin, ein Reiz, der sich schließlich noch verdoppelte durch das, was Pusch aus aller Welt Enden mitzuteilen wußte. Brillanter Korrespondent, der er war, unterhielt er Beziehungen zu den Ministerien und, was fast noch schwerer ins Gewicht siel, auch zu den Gesandtschaften. Er hörte das Gras wachsen. Auf Titulaturen ließ er sich nicht ein; die vielen Telegramme hatten einen gewissen allgemeinen Tele­grammstil in ihm gezeitigt, dessen er sich nur ent- schlug, wenn er ins Ausmalen kam. Es mar im Zusammenhang damit, daß er gegen Worte wie: Wirklicher Geheimer Ober-Regiernngsrath" einen förmlichen Haß unterhielt. Herzog von Ujest oder Herzog von Ratibor waren ihm, trotz ihrer Kürze, immer noch zu lang, und so warf er denn statt ihrer einfach mit .Hohenlohes' um sich. In der That, er hatte mancherlei Schwächen. Aber diese waren doch auch wieder von eben so vielen Tugenden begleitet. So beispielsweise sah er über alles, was sich au Liebesgeschichten ereignete, mit einer beinah' vor­nehmen Gleichgültigkeit hinweg, was manchem sehr lieb war. Ob dies Drüberhinsehn bloße Geschäfts­maxime war, oder ob er all dergleichen einfach all­täglich und deshalb langweilig fand, war nicht recht festznstellen; er kultivierte dafür mit Vorliebe das Finanzielle, vielleicht davon ausgehend, daß, wer die Finanzen hat, auch selbstverständlich alles andre be­sitzt, besonders die Liebe.

Das war De. Pusch. Er schloß sich, als man aufbrach, einer Gruppe von Personen an, die den angerissenen Abend" noch in einem Lokal ver­bringen wollten.

Ja, wo?"

Natürlich Siechen."

Ach, Siechen. Siechen ist für Philister."

Nun denn also, beim .schweren Wagner'."

Noch philiströser. Ich bin für Weihenstephan."

Und ich für Pilsener."

Mau einigte sich schließlich auf ein Lokal in der Friedrichstraße, wo man beides haben könne.

Die Herren, die dahin ausbrachen, waren außer Pusch noch der junge Baron Planta, dann Cnjacius und Wrschowitz und abschließend Premierlieutenant von Szilagy, der, wie schon angedeutet, früher bei den Gardedragonern gestanden, aber wegen einer- großen Generalbegeisterung für die Künste, das Malen und Dichten obenan, schon vor etlichen Jahren seinen Abschied genommen hatte. Mit seinen Genrebildern war er nicht recht von der Stelle gekommen, weshalb er sich neuerdings der Novellistik zugewandt und einen Sammelband unter dem bescheidenen Titel Lollis poronnis" veröffentlicht hatte. Lauter kleine Liebesgeschichten.

Alle fünf Herren, mit alleiniger Ausnahme des jungen Granbündener Barons, waren von Anfang