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Weber Land und Meer.
gewickelt." Auf einem angebundenen Zettel aber stand: „Herrn Major von Stechlin. Dreimal täglich zehn Tropfen." Dubslav hielt die kleine Flasche gegen das Licht und tröpfelte die vorgeschriebene Zahl in einen Löffel Wasser. Als er sie genommen hatte, bewegte er kennermäßig die Lippen, etwa wie wenn ein Stammgast eine neue Weinsorte probt. Dann nickte er und sagte: „Ja, Engelke, nu geht es los. Fingerhut."
Der alte Dubslav nahm durch mehrere Tage hin seine Tropfen ganz gewissenhaft und fand auch, daß sich's etwas besserte. Die Geschwulst ging um ein Geringes zurück. Aber die Tropfen nahmen ^ ihm den Appetit, so daß er noch weniger aß, als ! ihm gestattet war.
Es war ein schöner Frühmärzentag, die Mittagszeit schon vorüber. Dubslav saß an der weit offenstehenden Glasthür seines Gartensalons und las die Zeitung. Es schien indes, daß ihm das, was er las, nicht sonderlich gefiel. „Ach, Engelke, die Zeitung ist ganz gut; nur so für den ganzen Tag ist sie doch zu wenig. Du könntest mir lieber ein Buch bringen."
„Was für eines?"
„Js egal."
„Da liegt ja noch das kleine gelbe Buch: ,Keine Lupine mehr!'"
„Nein, nein; nicht so was. Lupine, davon Hab' ich schon so viel gelesen; das wechselt in einem fort und eins ist so dumm wie das andre. Die Landwirtschaft kommt doch nicht wieder obenauf oder wenigstens nicht durch so was. Bringe mir lieber einen Roman; früher in meiner Jugend sagte man Schmöker. Ja, früher, da waren alle Wörter viel besser. Weißt du noch, wie ich mir, als ich Zivil wurde, den ersten Schniepel machen ließ? Schniepel is auch solch Wort und doch wahrhaftig besser als Frack. Schniepel hat so was Fideles: Einsegnung, Hochzeit, Kindtaufe."
„Gott, gnäd'ger Herr, immer is es doch auch nich so. Die meisten Schniepel sind doch, wenn einer begraben wird."
„Richtig, Engelke. Wenn einer begraben wird. Das war ein guter Einsall von dir. Früher würd' ich gesagt haben zeitgemäß'; jetzt aber sagt man ,opportun'. Hast du schon mal davon gehört?"
„Ja, gnäd'ger Herr, gehört Hab' ich schon mal davon."
„Aber nicht verstanden. Na, ich eigentlich auch nicht. Wenigstens nicht so recht. Und du, du warst ja nich mal auf Schulen."
„Nein, gnäd'ger Herr."
„Alles in allem, sei froh darüber . . . Aber, Engelke, wenn du mir ein Buch gebracht hast, dann will ich mit meinem Stuhl doch lieber gleich auf die Veranda 'rausrücken. Es is wie Frühling heut. Solche guten Tage muß man mitnehmen. Und bringe mir auch 'ne Decke. Früher war ich nich so fürs Pimplige; jetzt aber heißt es: besser bewahrt als beklagt."
In dem ganzeil Dreieck zwischen Nheinsberg, Kloster Wutz und Gransee hatte sich die Nachricht von des alten Dubslav ernster Erkrankung mehr und mehr herumgesprochen, und es war wohl im Zusammenhang damit, daß ungefähr um dieselbe Stunde, wo Dubslav und Engelke sich über „Schniepel" und „opportun" unterhielten, ein Einspänner aus die Stechliner Rampe fuhr, ein etwas sonderbares Gefährt, dem der alte Baruch Hirschseld langsam und vorsichtig entstieg. Engelke war ihm dabei behilflich und meldete gleich danach, daß der Alte da sei.
„Der alte Baruch! Um Gottes willen, Engelke, was will denn der? Es ist ja doch glücklicherweise nichts los. Und so ganz ans freien Stücken. Na, laß ihn kommen."
Und Baruch Hirschfeld trat gleich daraus ein.
Dubslav, in seine Decke gewickelt, begrüßte den Alten. „Aber, Baruch, um alles in der Welt, was giebt es? Was bringen Sie? Na, gleichviel, ich freue mich, Sie zu sehen. Machen Sie sich's so bequem, wie's aus den drei Latten eines Gartenstuhls überhaupt möglich ist. Und dann noch einmal: Was giebt es? Was bringen Sie?"
„Herr Major wollen entschuldigen, es giebt nichts, und ich bringe auch nichts. Ich kam da bloß so vorbei, Geschäfte mit Herrn von Gundermann, und da wollt' ich mir doch die Freiheil genommen haben, mal nach der Gesundheit zu fragen. Habe gehört, der Herr Major seien nicht ganz gut bei Wege."
„Nein, Baruch, nicht ganz gut bei Wege, beinahe schon schlecht genug. Aber lassen wir das schlimme Nene; das Alte war doch eigentlich besser (das heißt dann und wann), und manchmal denk' j ich so an alles zurück, was wir so gemeinschaftlich miteinander durchgemacht haben."
„Und immer glatt, Herr Major, immer glatt, ohne Schwierigkeiten."
„Ja," lachte Dubslav, „gemacht Hab' ich keine, aber gehabt Hab'ich genug. Und das weiß keiner besser als mein Freund Baruch. Und nun sagen Sie mir vor allem, was macht Ihr Isidor, der große Volksfreund? Ist er mit Torgelow noch zufrieden? Oder sieht er, daß sie da auch mit Wasser kochen? Ich wundere mich bloß, daß ein Sohn von Baruch Hirschfeld, Sohn und Firmateilhaber, so sehr für den Umsturz ist."
„Nicht für den Umsturz, Herr Major. Isidor, wenn ich so sagen darf, ist für die alte Valuta. Aber nebenher hat er ein Herz für die Menschheit."
„Hat er? Na, das ist recht."
„Und das Herz für die Menschheit, das haben wir alle, Herr Major. Und kommt was dabei heraus, so Haben wir die Dividende. Gott der Gerechte, wir brauchen's. Und weil ich rede von Dividende, will ich auch reden von Hypothek. Wir haben da seit Freitag ein Kapital, Granseer Bürger, und will's hergeben zu dreiundeinhalb."
„Nu, Baruch, das ist hübsch. Aber im Augenblick bin ich's nicht benötigt. Vielleicht mal mein ! Waldemar. Der hat, wie Sie wissen, 'ne reiche