Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1903) Goethe ; Theil 2
Entstehung
Seite
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Zur Charakterschilderung ist eine Methode nöthig.

kurz, bald lang, die Eigenschaftwörter wurden durch Beispiele erläutert oder nicht. Man hat dieses Porträt­machen oft verspottet, und verspottet es noch. Fragt sich nur, was an seine Stelle zu setzen sei. Drama­tiker und Romanschreiber verfahren so, dass sie ihre Leute in bestimmte Situationen bringen und durch die Handlungen die handelnden Personen schildern, also eine Reihe von Reactionen angeben. Aber erstens wird hier in der Regel auf Vollständigkeit verzichtet, es pflegt sich nur um einige markante Züge zu han­deln, und dann ist es im Grunde einerlei, ob ich Re­actionen erzähle oder Eigenschaften nenne, denn was sind Eigenschaften anders als Weisen der Reaction? Das eine ist poetisch, das andere prosaisch, die Sache ist eine. Ja, heisst es, es kommt nur darauf an, das Wesentliche in einem Menschen zu erkennen. Wallen­stein brauchte bekanntlich nur den Kern des Menschen, und Goethe selbst dachte ähnlich. Er meint, es liege in den Charakteren eine gewisse Consequenz, durch die bei bestimmten Grundzügen bestimmte secundäre Züge auftreten, und er macht sich anheischig, Einen, mit dem er eine Viertelstunde gesprochen habe, zwei Stunden lang reden zu lassen. Jedoch wir erfahren weder bei Schiller, noch bei Goethe, noch bei Sonst­jemand, was denn nun der Kern eines Menschen sei. Goethe selbst giebt zu, dass sein Verfahren instinct­mässig sei, Angeborenes und Erfahrung möchten sich vereinigt haben, auch spricht er von einer Anticipation mannigfaltiger menschlicher Zustände. Mit alledem wird uns keine Methode gegeben. Was Schiller mit