Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1903) Goethe ; Theil 2
Entstehung
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Galls Methode ist richtig.

Herren aber haben nichts verstanden, und ihr Verhalten gegen Gall wird ein unvergängliches Denkmal mensch­licher Beschränktheit bleiben, gerade so, wie ihr schänd­liches Verhalten gegen Goethes Farbenlehre. Galls Verdienst ist, das Princip erfasst und einen Versuch zur Anwendung gemacht zu haben. Ob freilich die von ihm angenommenen Grundkräfte zu Recht be­stehen, vollends, ob die von ihm gewählten Bezeich­nungen richtig seien, das ist eine andere Frage. Hätten die Psychologen mehr Verständniss gezeigt und weniger leeres Stroh gedroschen, so könnten wir weiter sein. Gall verfuhr so, dass er die Frage, ob eine Fähigkeit eine Grundkraft sei, dadurch zu entscheiden suchte, dass er die Arten bei den Thieren und die einzelnen Menschen mit einander verglich. Die Selb­ständigkeit eines Triebes, seine Unabhängigkeit von den anderen Fähigkeiten, die Thatsache, dass er ohne die anderen Fähigkeiten vorkommt, oder trotz ihrer Anwesenheit fehlen kann, macht ihn zur Grundkraft. Ich sehe nicht ein, wie man eine bessere Methode finden könnte, und es scheint mir der Nachweis für eine Reihe von Fällen gelungen zu sein. Bei manchen Trieben zweifelt niemand an ihrer Selbständigkeit, so bei dem Hunger und der Liebe, aber auch andere scheint mir Gall mit Recht zu den Elementen zu rech­nen, die Kunsttriebe, den Muth, den Herdensinn, den Familiensinn, die Herzensgüte, denZerstörungsinn, den Erwerbsinn, und noch andere Fähigkeiten oder Triebe. Aber freilich so viel ist sicher, dass wir in vielen Fällen unsicher bleiben, ob eine Eigenschaft,