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Das Weibliche in Goethe.
es eigentlich nur einen Fall, wo man Goethe tadeln kann, dass er nicht rechtzeitig Einhalt gethan habe, nemlich in Sesenheim. Aber dass er das gute Mädchen gleich hätte heirathen sollen, das kann doch kein vernünftiger Mensch verlangen. Im übrigen hat er gethan, was er thun konnte, denn die Leidenschaft unverändert zu erhalten, stand nicht in seiner Macht.
Sein starkes geistiges Geschlechtsbedürfniss führte Goethe dahin, sich das Ideal als weiblich vorzustellen und als Dichter das Weib zu verherrlichen. Man kann aber nicht sagen, dass der Geschlechtstrieb ihn blind gemacht habe. Denn mochte er auch dieses oder jenes Weib überschätzen, wie es ihm mit der Stein ging, so behielt er doch immer ein kühles Urtheil über das Geschlecht im Ganzen und wusste das wirkliche Weib sehr wohl von dem idealen Weibe zu unterscheiden.
Wie im Körperlichen, so ist auch im Geistigen der Mann nicht absolut Mann, vielmehr giebt es Grade der Männlichkeit, und die Männlichkeit nimmt in dem Maasse ab, wie ein Mann weibliche Züge zeigt. Es ist nicht zu verkennen, dass bei Goethe solche Züge vorhanden sind: seine grosse Kinderliebe, seine grosse Neigung zu Gesprächen, sein instinctives Verständniss für weibliche Art, seine Friedfertigkeit, das„Coneciliante“ seiner Natur, seine Abneigung gegen Politik und vielleicht noch manches Andere. Man denke auch an die weichen Formen des Unterkiefers.”)
*) Vgl. meinen Aufsatz„Goethe und die Geschlechter“,
das 6. Heft der Beiträge zu Lehre von den Geschlechtsunterschieden(1903).