Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1903) Goethe ; Theil 2
Entstehung
Seite
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Tonsinn. Mathematische Anlage.

bracht hat, scheint darin zu bestehen, dass sie ihn in einen Zustand veränderten Bewusstseins versetzte, in dem ihm Gedanken, und besonders poetische Wen­dungen, leichter zuströmten. Von der intensiven Freude, die er an Bildern und plastischen Werken empfand, ist bei der Musik gar keine Rede. Am 6. Nov. 1827 sagt er z. B., dieZauberflöte sei ihm übel bekommen, die bildende Kunst aber mache ihn immer glücklich.

Ein wirklicher Defect ist Goethes Mangel an mathematischer Anlage.Niemand kann Zzahlen­scheuer seyn als ich, schreibt er am 12. Dec. 1812 an Zelter. Im Jahre 1786 hat er einen Versuch ge­macht, sich mit der Algebra zu befreunden, aber bald heisst es:soviel merke ich es wird historische Kennt­niss bleiben und ich werde es zu meinem Wesen nicht brauchen können, da das Handwerk ganz ausser meiner Sphäre liegt. Am 25.11.1808 schreibt er an Knebel, Dr. Werneburg bringedas Allerfremdeste, was in mein Haus kommen kann, die Mathematik an meinen Tisch; jedoch dürfe er nur im alleräussersten Falle von Zahlen reden. Die landläufige Meinung ist, es könne einer lernen, was er wolle, und Goethe habe eben von der Mathematik nichts wissen wollen, weil er sie nicht brauchte. In Wirklichkeit war Goethe der Mathematik unfähig, weil er so gut wie kein Organ dafür hatte, und diese Unfähigkeit war nicht gleich­giltig, sondern brachte ihm Schaden und Verdruss. Zum Dichten brauchte er freilich keine Mathematik, ein tieferes Eindringen in die Naturwissenschaft aber ist ohne sie nicht möglich, weil die physikalische Er­