Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1903) Goethe ; Theil 2
Entstehung
Seite
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schlossen; und so sahen wir uns täglich, fast stünd­lich, und das Gespräch hielt sich immer in dem Kreise seiner bewundernswürdigen Beobachtung: er scherzte über uns alle und behauptete, meinem Stirnbau zufolge, ich könne den Mund nicht aufthun, ohne einen Tropus auszusprechen; worauf er mich denn freilich jeden

Augenblick ertappen konnte. Mein ganzes Wesen be­trachtet, versicherte er ganz ernstlich, dass ich eigent­lich zum Volksredner geboren sey. Dergleichen gab zu allerlei scherzhaften Bezügen Gelegenheit, und ich musste es gelten lassen dass man mich mitChry­sostomus in eine Reihe zu setzen beliebte.

Nun mochte freilich solche geistige Anstrengung, verflochten in geselliges Wohlleben, meinen körper­lichen Zuständen nicht eben zusagen; es überfiel mich ganz unversehens der Paroxysmus eines herkömmlichen Uebels, das von den Nieren ausgehend sich von Zeit zu Zeit durch krankhafte Symptome schmerzlich an­kündigte. Es brachte mir diessmal den Vortheil einer grösseren Annäherung an Bergrath Reil, welcher als Arzt mich behandelnd mir zugleich als Praktiker, als denkender, wohlgesinnter und anschauender Mann be­kannt wurde. Wie sehr er sich meinen Zustand an­gelegen seyn liess, davon giebt ein eigenhändiges Gut­achten Zeugniss, welches vom 17. September dieses Jahrs unter meinen Papieren noch mit Achtung ver­wahrt wird.

Dr. Galls ferneren Unterricht sollte ich denn auch nicht vermissen; er hatte die Gefälligkeit den Apparat jeder Vorlesung auf mein Zimmer zu schaffen und