Teil eines Werkes 
Bd. 3 (1903) Goethe ; Theil 2
Entstehung
Seite
257
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Reil als Psychiater.

Gall. Manche seiner Organe stehen an solchen Stellen, wo das Gehirn gar nicht auf den Schädel wirken könnte, wenn es auch sonst diess thäte. Das gilt z. B. bestimmt von seinen Gedächt­nissarten, wo man nur grösstentheils von der Ausdehnung der Stirnhöhlen reden kann; sein Wortsinn bezeichnet eine gewisse Bildung des Auges,(z. B. bey der Kurzsichtigkeit,) oder der Augenhöhle; sein Organ des Geschlechtstriebs ist sehr unglück­lich in das kleine Gehirn versetzt, da jener doch gar nicht vom Gehirn abhängt, wie jedem bekannt ist; fast alle Organe endlich sind unrichtig als selbstständig dargestellt, da man sie leicht von der verschiedenen Thätigkeit des allgemeinen Seelenorgans, oder von Entwickelungen der Sinnesorgane ableiten kann, wie Rec. ausführlich zu beweisen, für überflüssig hält. Galls einseitige Beobachtungen und kühne Behauptungen konnten täuschen, aber nur eine kurze Zeit. Commenta delet dies. IR

7) Joh. Christ. Reil war am 28. 2. 1759 in Ostfriesland ge­boren. Er wurde 1787 ausserord. Professor der Medicin in Halle, ging 1810 nach Berlin, übernahm nach der Schlacht bei Leipzig die oberste Leitung der Kriegshospitäler und starb am 22. No­vember 1813 am Typhus. Er hat sich durch anatomische Unter­suchungen ausgezeichnet, hat eine Fieberlehre und Verschiedenes über Psychiatrie geschrieben(ausser den Rhapsodien veröffent­lichte er eine Uebersetzung von Cox psychiatr. Journal und er gab von 18031805 das Magazin für psychische Heilkunde her­aus). Auch hat er das Soolbad in Halle angelegt.

SeineRhapsodien kann man nicht schlechtweg loben.

Lobenswerth ist, dass er auf Verbesserung der Tollhäuser dringt. Sein Hauptanliegen ist dabei, man soll die Heilanstalten von den Pflegeanstalten trennen, ein Vorschlag, der befolgt worden ist, sich später aber als unzweckmässig erwiesen hat. Was er über die Geisteskrankheiten und ihre Behandlung sagt, das ist nicht gerade viel werth. Von klinischen Studien ist wenig zu be­merken; Bücherkenntnisse und Naturphilosophie sind die Haupt­sache. Seine psychische Heilmethode, der Kern des Buches, ist principiell verfehlt. Es handelt sich um die alten Kniffe, die Kranken zu zähmen oder einzuschüchtern, sie durch Spiegel­fechtereien zu täuschen, heftige Gemüthsbewegungen zu erregen. Die Voraussetzung der Behandlung ist natürlich, dass die Krank­

Möbius, Werke II.