sich die beiden Linien Kyritz—Perleberg und Pritzwalk—Glöwen. Der Fahrdienstleiter hat oft Mühe, alle Züge auf den wirklich kurzen Bahnhofsgleisen unterzubringen, zumal wenn in der Herbstzeit die Rüben und die Kartoffeln rollen. Unser Zug hat hier 30 Minuten Aufenthalt. Die Lokomotive muß ihren Wasservorrat ergänzen und Rangierbewegungen erledigen. Wir gehen unterdessen in den „Gasthof zur Eisenbahn“. Der Wirt kredenzt uns ein Glas vom guten Pritzwalker Bier, und ich erzähle dir noch etwas von der Entstehungsgeschichte unseres Geburtstagskindes. — Unsere Schmalspurbahn ist durchaus nicht ohne Geburtswehen zur Welt gekommen. Im Gegenteil, es gab schwere Debatten und Kämpfe während der Projektierung und des Baues. Um das zu verstehen, müssen wir uns einmal in die Zeit um 1890 zurückversetzen. Auf den großen Gütern in der Prignitz wurde in diesen Jahren der Kartoffelanbau verstärkt und der Zuckerrübenanbau eingeführt. In Kyritz war eine Kartoffelflocken- und Stärkefabrik gebaut worden. Anfänglich ein Privatunternehmen, wurde es bald in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Aktionäre waren die Rittergutsbesitzer der Prignitz. Die Kartoffeln mußten nun zur Fabrik nach Kyritz transportiert werden. Die Wegeverhältnisse waren in der damaligen Zeit äußerst schlecht, und so sah man sich vor die Notwendigkeit gestellt, entweder feste Straßen anzulegen oder eine Eisenbahn zu bauen, die die abgelegenen großen Güter mit den Kreisstädten und den bereits bestehenden Eisenbahnlinien verbinden würde. Nach langem Hin und Her einigte man sich schließlich auf den Bahnbau. Nun aber begann erst der Kampf um die Linienführung, um die günstigste Anlage der Bahnhöfe und Haltestellen, um die Hergabe der erforderlichen Bodenflächen und um die Aufbringung der Mittel. Besonders die Abgabe von Grund und Boden stieß auf erheblichen Widerstand und führte schließlich dazu, daß man sich, entgegen besseren Einsichten, für den Bau einer „Schmalspurbahn“ entschied. Als Bauherren traten die Kreise Ost- und Westprignitz auf. Die Großgrundbesitzer, die in den damaligen Kreistagen das Wort führten, versuchten natürlich, die Bahn so anzulegen, wie es für ihre Interessen am günstigsten erschien. Die Bauerngemeinden wehrten sich dagegen. Vielerorts mußte die Bahnlinie mehrere Male vermessen und abgesteckt werden, ehe es zu einer endgültigen Einigung kam. Bautechnisch gesehen wurde die schlechteste Lösung gewählt. In vielen unnötigen Windungen und Steigungen schlängelt sich die Bahnstrecke von einem Dorf zum anderen. Eine gute Ausnahme macht nur der Streckenabschnitt Vieseke— Perleberg, der in gerader Richtung neben der Hauptverkehrsstraße Berlin- Hamburg verläuft. Jedoch mehr zum Schaden dieser Straße. Um Ackerflächen zu sparen, baute man das Gleis zur Hälfte auf dem Straßengelände, und diese heute so verkehrsreiche Straße wurde dadurch wesentlich schmaler.
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