Nun wird es aber höchste Zeit, daß wir wieder einsteigen. Der Fahrdienstleiter steht schon mit seiner „Kelle“ auf dem Bahnsteig. „Bitte beeilen“, ruft er uns zu, und weil wir keine Verspätung verschulden wollen, leisten wir seiner Aufforderung Folge, und schon faucht unser „Polio“ weiter in Richtung Perleberg. Die Orte Garz und Hoppenrade mit ihrem schweren Lehmboden waren früher Hauptanbaugebiete für die Zuckerrübe. Zwischen den beiden Ortschaften war sogar eine Weiche mit Anschlußgleis für die Rübenverladung vorhanden. Auch fast alle anderen Güter hatten Anschlußgleise, insgesamt waren es an der Strecke Kyritz—Breddin und Kyritz— Perleberg neun. Das abseits gelegene Gut Zichtow transportierte seine Rüben und Kartoffeln mit einer Feldbahn zum Bahnhof Barenthin. Weil die Feldbahnwagen meistens von Ochsen gezogen wurden, erhielt diese etwa 4 Kilometer lange Bahn den Namen „Zichtower Ossenboahn“. Im Laufe der Jahre hat sich der Güterverkehr ständig gesteigert, und die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des „Polio“ wurden immer größer. Mit der Steigerung des Güterumschlages zeigte sich aber auch in immer stärker werdendem Maße der große Fehler der Schmalspurbahn. Sämtliche Güter, außer den Kartoffeln, die zur Stärkefabrik Kyritz wollten, mußten auf den Anschlußbahnhöfen von Hand umgeladen werden. Dadurch wurde die Transportzeit wesentlich verlängert und wertvolles Ladegut beschädigt und im Wert gemindert. Das Umladen der Massengüter Kartoffeln, Rüben, Kohlen und Düngemittel war eine der schwersten körperlichen Arbeiten, die zudem schlecht bezahlt wurden. Der Arbeiter mußte all’ seine Kraft hergeben, um auf einen einigermaßen genügenden Akkordverdienst zu kommen. In den Jahren 1925 bis 1935, in denen ich meine beste Kraft und Gesundheit als „Umlader“ hergab, galten folgende Akkordsätze: Für 5000 kg Kartoffeln oder losen Kalidünger 1,25 Mark. Für Düngemittel in Säcken und Korn in Säcken für 5000 kg nur 0,75 RM und für Kohlen und Kainit je 5000 kg 1,00 Mark. Das war Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft im schlimmsten Sinne. Erst nach 1946 trat hier ein allmählicher Wandel ein. Nachdem 1949 die Ost- und Westprignitzer Kreiskleinbahn von der Deutschen Reichsbahn übernommen worden war, wurde in den folgenden Jahren der Rollwagenverkehr auf den Strecken Kyritz—Perleberg, Glöwen—Havelberg und Glöwen—Lindenberg eingeführt. Damit wurden die Umladearbeiten auf diesen Bahnhöfen überflüssig und zahlreiche gute Arbeitskräfte für andere Aufgaben frei. Beim Dorfe Vieseke erreichen wir wieder die Berlin—Hamburger Verkehrsstraße, und die Bahnlinie führt nun neben dieser Straße entlang bis in die Stadt Perleberg. Von Vieseke zweigte früher die Strecke Vieseke—Kreuzweg ab. Wegen des geringen Verkehrs wurde sie 1947 abgebrochen und auf der früheren Normalspurstrecke Glöwen—Havelberg wieder aufgebaut. — „Warum denn als Schmalspurstrecke?“, fragst Du verwundert. Ja, lieber
310