Heft 
(1957) 10
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werden, während heute die Regierung große Mittei bereitsteilt, um den Werktätigen Bildung und Unterhaltung zu ermöglichen. Es stimmt uns heiter zu erfahren, daß ab 1914 die Bibliothek ausgerechnet in den Räumen der Warmbadeanstalt untergebracht, wurde. Man kann kaum annehmen, daß den damaligen Stadtvätern sehr an der pfleglichen Behandlung der Bücher nach gründlicher Körperreinigung lag, eher läßt sich vermuten, daß sie die Rolle der Bücherei für eine zu untergeordnete hielten, als daß es der Mühe wert gewesen wäre, einen Raum in dem neuen mit viel Ge­schmack eingerichteten Rathaus zur Verfügung zu stellen. Ab 1920 befand sich die Bibliothek in dem Gebäude des Stadtsaals in der Perleberger Straße. Die Bibliothekarin hatte gleichzeitig den Verkauf von Gasmarken zu erledigen, was nützt schließlich ein Buch, wenn die Lampe nicht brennt? Heute haben in der Stadtbibliothek sieben Angestellte Kopf und Hände voll zu tun, um allen berechtigten Leserwünschen gerecht zu werden.

Der Faschismus machte auch vor der kleinen Wittenberger Stadtbücherei nicht halt. Die faschistische Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 war der sichtbare Beginn der amtlich verfügten Aussonderung und Vernichtung der fortschrittlichen Literatur Deutschlands. Marx, Heine, Feuchtwanger, Zweig, die Gebrüder Mann und andere Schriftsteller, die fortschrittliches und humanistisches Gedankengut vermittelten, zählten nicht mehr zum Bestand der Bücherei.

Die Stadtbibliothek befand sich jetzt in einem kleinen Laden in der Bahnstraße der jetzigen Musikhandlung Porep. Der Bestand hatte sich auf 3500 Bände erweitert. Aber die Bücherei wurde ein Propaganda­instrument der Rassenhetze und der faschistischen Kriegsvorbereitung, davon zeugen die vielen Bücher, die 1945 aussortiert werden mußten. Eine große Anzahl Bücher wurde durch Bombenabwurf vernichtet. Trotzdem die Naziherrschaft auch in Wittenberge ein Trümmerfeld hinter­ließ und die Bevölkerung und der Rat der Stadt vor größeren Aufgaben standen, als es die Wiedererrichtung einer kleinen Bibliothek ist, wurde sofort nach der Befreiung vom Faschismus mit der Reinigung des Be­standes und dem Aufbau einer neuen Bibliothek begonnen. Es zeugt vom zukunftsfreudigen Glauben an das werdende Neue, daß sofort mit der Errichtung der Kulturstätten begonnen wurde, um den Menschen Gelegen­heit zu geben, in schwerer Zeit Freude und Kraft aus Büchern zu schöpfen. In der neuen Verwaltung der Stadt saßen wirkliche Vertreter des Volkes, die der Bibliothek eine Unterstützung zukommen ließen, die früher un­denkbar gewesen wäre. Am 1. Oktober 1945 besaß die Bibliothek 1900 Bände, deren Zahl sich bis 31. Dezember 1945 auf 2500 Bände erhöhte. Eine Angestellte verwaltete die Bibliothek. Langsam wuchs die Buch­bestandszahl, und so konnten 1950 die Leser ihre Bücher aus einem Bestand von 5254 Büchern auswählen. Die Leserzahl blieb allerdings bei etwa 1300 Lesern stehen. Es war den Wittenbergern freilich nicht zu verdenken,

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