Stellen wir erst einmal fest, daß die Wissenschaft unter Mumien durch physikalische oder chemische Einwirkungen vor der Verwesung geschützte Menschen- oder Tierkörper versteht, die auch im ganzen ihre natürliche Form behalten haben, so müssen wir noch den Unterschied machen, daß es natürliche und künstliche Mumien gibt, und um dem „Kahlbutz“- Problem verständnisvoller nahezukommen, müssen wir uns wohl zuerst mit diesen Tatsachen befassen. Das ist deshalb notwendig, weil die immer zur Legendenbildung bereite Volksmeinung um diese, wie auch anderwärts aufgefundene Mumien allerlei Sagen gewoben hat, die zum Teil sehr zweckbetont sind, je nachdem der zur Zeit der Legendenbildung herrschende „Geist“ gesteuert hat. Wir wollen also ohne Blick auf die Überlieferung bekannte Tatsachen der Mumifizierung aneinanderreihen; vielleicht bekommen dann die Leser, die sich zu einer Visite beim alten Ritter Kahlbutz entschließen, eine Grundlage, die wertvoller ist als Volkssagen. Bei der natürlichen Mumie liegen keine Absichten vor, den Körper zu konservieren; es werden also keine manuellen Eingriffe oder Veränderungen an der Leiche vorgenommen. Man überläßt die „Verlederung“ oder Austrocknung lediglich Einflüssen, deren Deutung noch nicht restlos gelungen ist, wie auch unsere Kampehler Mumie erweist. Die Wissenschaft hat an ungezählten Funden feststellen können, daß durch Trockenheit des Bodens am Begräbnisort, wie z. B. bei den sogenannten „weißen Mumien“ der Sahara und der peruanischen Wüsten, diese Konservierung erfolgt. Ebenso können Verlederungen ihre Ursache haben in dauernden austrocknenden Luftbewegungen, die durch die Grabstätten streichen, wie sie an der Westküste Südamerikas und auf dem Großen St. Bernhard beobachtet wurden, und schließlich sind bestimmte Bodenzusammensetzungen, die arsenik-, blei-, alaun- oder kochsalzhaltig sind, als Ursache der Mumifizierung festgestellt worden (Kapuzinerkloster Palermo, Bleikeller im Bremer Dom, Felshöhlen aller Kontinente). Wertvolle Aufschlüsse geben hierbei auch die sogenannten „Moorleichen“, die in For- schungs- und Reiseberichten oft erwähnt werden: dichte Packungen von Moor und Torf haben hier konservierend gewirkt, und die oft darüberstehende Wasserdecke hat ebenfalls dem mumifizierenden Luftabschluß gedient. Und schließlich verweise ich auf die wohl bekannten Funde im sibirischen Eis, die uns wertvolle, für die zoologische Entwicklungsforschung sehr aufschlußreiche Konservierungen (Mammut!) durch Jahrtausende bewahrten und die Rekonstruktionen längst ausgestorbener Tiere ermöglichten.
Wenn nun diese genannten Ursachen in Beziehung auf unsere Kahlbutz-
89