Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

gleichem Vergnügen. Ich muß freilich einräumen, daß es keine Lectüre für eine Konfirmandin war. Aber meine Mutter sagte: -Lies es nur, Jenny; der König hat es auch gelesen, und Herwegh war sogar bei ihm in Charlottenburg, und die besseren Klassen lesen es alle? Meine Mutter, wofür ich ihr noch im Grabe danke, war immer für die besseren Klassen. Und das sollte jede Mutter, denn es ist bestimmend für unseren Lebensweg. Das Niedere kann dann nicht heran und bleibt hinter uns zurück."

Vogelfang zog die Augenbrauen zusammen, und Jeder, den die Vorstellung von seiner Mephistophelesschast bis dahin nur gestreift hatte, hätte bei diesem Mienenspiel unwillkürlich nach dem Hinkefuß suchen müssen. Die Commerzien- räthin aber fuhr fort:Im Uebrigen wird mir das Zugeständniß nicht schwer, daß die patriotischen Grundsätze, die der große Dichter predigte, vielleicht sehr- anfechtbar waren. Wiewohl auch das nicht immer das Richtige ist, was auf der großen Straße liegt ..."

Vogelfang, der stolz daraus war, durchaus eine Nebenstraße zu wandeln, nickte jetzt zustimmend.

. . . Aber lassen wir die Politik, Herr Lieutenant. Ich gebe Ihnen Her­wegh als politischen Dichter preis, da das Politische nur ein Tropfen fremden Blutes in seinen Adern war. Indessen groß ist er, wo er nur Dichter ist. Er­innern Sie sich? -Ich möchte hingehn wie das Abendroth, Und wie der Tag mit seinen letzten Gluthen . . /"

. . . Mich in den Schoß des Ewigen verbluten ... Ja, das kenn' ich, meine Gnädigste, das Hab' ich damals auch nachgebetet. Aber wer sich, als es galt, durchaus nicht verbluten wollte, das war der Herr Dichter selbst. Und so wird es immer sein. Das kommt von den hohlen, leeren Worten und der Reimsucherei. Glauben Sie mir, Frau Räthin, das sind überwundene Stand­punkte. Der Prosa gehört die Welt."

Jeder nach seinem Geschmack, Herr Lieutenant Vogelfang," sagte die durch diese Worte tief verletzte Jenny.Wenn Sie Prosa vorziehen, so kann ich Sie daran nicht hindern. Aber mir gilt die poetische Welt, und vor Allem gelten mir auch die Formen, in denen das Poetische herkömmlich seinen Ausdruck findet. Ihm allein verlohnt es sich zu leben. Alles ist nichtig; am nichtigsten aber ist das, wonach alle Welt so begehrlich drängt: äußerlicher Besitz, Vermögen, Gold. -Gold ist nur Chimäre/ da haben Sie den Ausspruch eines großen Mannes und Künstlers, der, seinen Glücksgütern nach, ich spreche von Meyerbeer, Wohl in der Lage war, zwischen dem Ewigen und Vergänglichen unterscheiden zu können. Ich für meine Person verbleibe dem Ideal und werde nie daraus verzichten. Am reinsten aber Hab' ich das Ideal im Liede, vor Allem in dem Liede, das gesungen wird. Denn die Musik hebt es noch in eine höhere Sphäre. Habe ich Recht, lieber Krola?"

Krola lächelte gutmüthig verlegen vor sich hin, denn als Tenor und Millionär saß er zwischen zwei Stühlen. Endlich aber nahm er seiner Freundin Hand und sagte:Jenny, wann hätten Sie je nicht Recht gehabt?"

Der Commerzienrath hatte sich mittlerweile ganz der Majorin von Ziegen­hals zugewandt, derenHostage" noch etwas weiter zurücklagen, als die der