Frau Jenny Treibel.
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Auch die Ziegenhals mischte sich jetzt mit ein, und das Gesprächsinteresse der Commerzienräthin, die, wie jede geborene Berlinerin, für Hof und Prinzessinnen schwärmte, schien sich mehr und mehr ihren beiden vis-a-vis zuwenden zu wollen, als plötzlich ein leises Augenzwinkern Treibel's ihr zu verstehen gab, daß auch noch andere Personen zu Tische säßen und daß es des Landes der Brauch sei, sich, was Gespräch angehe, mehr mit seinem Nachbar zur Linken und Rechten, als mit seinem Gegenüber zu beschäftigen. Die Commerzienräthin erschrak denn auch nicht wenig, als sie wahruahm, wie sehr Treibel mit seinem stillen, wenn auch halb scherzhaften Vorwurf im Rechte sei. Sie hatte Versäumtes nachholen wollen und war dadurch in eine neue, schwerere Versäumniß hineingerathen. Ihr linker Nachbar, Krola — nun, das mochte gehen, der war Hausfreund und harmlos und nachsichtig von Natur. Aber Vogelfang! Es kam ihr mit einem Male Zum Bewußtsein, daß sie während des Prinzessinnengesprächs von der rechten Seite her immer Etwas Wie einen sich einbohrenden Blick empfunden hatte. Ja, das War Vogelfang gewesen, Vogelfang, dieser furchtbare Mensch, dieser Mephisto mit Hahnenfeder und Hinkefuß, wenn auch beides nicht recht zu sehen war. Er war ihr widerwärtig, und doch mußte sie mit ihm sprechen; es war die höchste Zeit.
„Ich habe, Herr Lieutenant, von Ihren beabsichtigten Reisen in unsere liebe Mark Brandenburg gehört; Sie wollen bis an die Gestade der wendischen Spree Vordringen, ja, noch darüber hinaus. Eine höchst interessante Gegend, wie mir Treibel sagt, mit allerlei Wendengöttern, die sich, bis diesen Tag, in dem finsteren Geiste der Bevölkerung aussprechen sollen."
„Nicht, daß ich Wüßte, meine Gnädigste."
„So z. B. in dem Städtchen Storkow, dessen Burgemeister, wenn ich recht unterrichtet bin, der Burgemeister Tschech war, jener politische Rechtssanatiker, der aus König Friedrich Wilhelm IV. schoß, ohne Rücksicht auf die nebenstehende Königin. Es ist eine lange Zeit, aber ich entsinne mich der Einzelnheiten, als ob es gestern gewesen wäre, und entsinne mich auch noch des eigentümlichen Liedes, das damals aus diesen Vorfall gedichtet wurde."
„Ja," sagte Vogelfang, „ein erbärmlicher Gassenhauer, darin ganz der frivole Geist spukte, der die Lyrik jener Tage beherrschte. Was sich anders in dieser Lyrik gibt, ganz besonders auch in dem in Rede stehenden Gedicht, ist nur Schein, Lug und Trug. ,Er erschoß uns aus ein Haar, Unser theures Königspaar/ Da haben Sie die ganze Perfidie. Das sollte loyal klingen und unter Umständen vielleicht auch den Rückzug decken, ist aber schnöder und schändlicher als Alles, was jene verlogene Zeit sonst noch hervorgebracht hat, den großen Hauptsünder aus diesem Gebiete nicht ausgenommen. Ich meine natürlich Herwegh, George Herwegh."
„Ach, da treffen Sie mich, Herr Lieutenant, wenn auch ungewollt, an einer sehr empfindlichen Stelle. Herwegh war nämlich in der Mitte der vierziger Jahre, wo ich eingesegnet wurde, mein Lieblingsdichter. Es entzückte mich, weil ich immer sehr protestantisch fühlte, wenn er feine „Flüche gegen Rom" herbei- fchleppte, worin Sie mir vielleicht beistimmen werden. Und ein anderes Gedicht, worin er uns aufforderte, die Kreuze aus der Erde zu reißen, las ich beinah' mit