Frau Jenny Treibel.
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„Sieh', Marcell, wenn da drüben nicht der einsame Schutzmann stände, so stellt' ich mich jetzt mit verschränkten Armen vor Dich hin und lachte Dich fünf Minuten lang aus. Was soll das heißen, ich sei nicht müde geworden, dem armen Jungen, dem Leopold, den Kopf zu verdrehen? Wenn Du nicht ganz in Huldigung gegen Helenen ausgegangen wärst, so hättest Du sehen müssen, daß ich kaum zwei Worte mit ihm gesprochen. Ich habe mich nur mit Mr. Nelson unterhalten, und ein paar Mal Hab' ich mich ganz ausführlich an Dich gewandt."
„Ach, das sagst Du so, Corinna, und weißt doch, wie falsch es ist. Sieh', Du bist sehr gescheit und weißt es auch; aber Du hast doch den Fehler, den viele gescheite Leute haben, daß sie die anderen für ungescheiter halten als sie sind. Und so denkst Du, Du kannst mir ein X für ein U machen und Alles so drehen und beweisen, wie Du's drehen und beweisen willst. Aber man hat doch auch so seine Augen und Ohren und ist also, mit Deinem Verlaub, hinreichend ausgerüstet, um zu hören und zu sehen."
„Und was ist es denn nun, was der Herr Doctor gehört und gesehen haben?"
„Der Herr Doctor haben gehört und gesehen, daß Fräulein Corinna mit ihrem Redekatarakt über den unglücklichen Mr. Nelson hergesallen ist ..."
„Sehr schmeichelhaft . . ."
„Und daß sie — wenn ich das mit dem Redekatarakt aufgeben und ein anderes Bild dafür einstellen will — daß sie, sag' ich, zwei Stunden lang die Pfauenfeder ihrer Eitelkeit auf dem Kinn oder auf der Lippe balancirt und überhaupt in den feineren akrobatischen Künsten ein Aeußerstes geleistet hat. Und das Alles vor wem? Etwa vor Mr. Nelson? Mit Nichten. Der gute Nelson, der war nur das Trapez, daran meine Cousine herumturnte; der, um dessentwillen das Alles geschah, der zusehen und bewundern sollte, der hieß Leopold Treibel, und ich habe Wohl bemerkt, wie mein Coustnchen auch ganz richtig gerechnet hatte; denn ich kann mich nicht entsinnen, einen Menschen gesehen zu haben, der, verzeih' den Ausdruck, durch einen ganzen Abend hin so ,total weg^ gewesen wäre wie dieser Leopold."
„Meinst Du?"
„Ja, das mein' ich."
„Nun, darüber ließe sich reden . . . Aber sieh' nur ..."
Und dabei blieb sie stehen und wies auf das entzückende Bild, das sich -— sie passirten eben die Fischerbrücke — drüben vor ihnen ausbreitete. Dünne Nebel lagen über den Strom hin, sogen aber den Lichterglanz nicht ganz auf, der von rechts und links her auf die breite Wasserstäche fiel, während die Mondsichel oben im Blauen stand, keine zwei Hand breit von dem etwas schwerfälligen Parochialkirchthurm entfernt, dessen Schattenriß am anderen Ufer in aller Klarheit aufragte. „Sieh' nur," wiederholte Corinna, „nie Hab' ich den Singuhrthurm in solcher Schärfe gesehen. Aber ihn schön finden, wie seit Kurzem Diode geworden, das kann ich doch nicht; er hat so etwas Halbes, Unfertiges, als ob ihm auf dem Wege nach oben die Kraft ausgegangen wäre. Da bin ich doch mehr für die zugespitzten, langweiligen Schindelthürme, die nichts wollen, als hoch sein und in den Himmel zeigen."