Shakespeares Königsdramen von Aichard II. bis zu
Mchard III.
Ein Vortrag
von
W. Henke, Professor in Tübingen.
Es war im Jahre 1864, also jetzt bereits wieder vor einem Vierteljahrhundert, als in der ganzen gebildeten Welt die dreihundertjährige Jubelfeier der Geburt Shakespeare's der begeisterten Anerkennung seiner Werke einen verstärkten Aufschwung und hie und da auch überschwänglichen Ausdruck gab. Es hat aber jeder Zeit auch Leute gegeben, die den Beruf in sich tragen, sich dem Ueber- schwang einer solchen Zeitstimmung entgegenzustellen, und so erschien damals im Stuttgarter Morgenblatt eine Reihe von Aussätzen unter dem Titel „Shakespeare- Studien eines Realisten", die ein gewisses Aufsehen erregten und bald darauf auch in Form eines Buches unter dem vollen Namen des Verfassers, Gustav Rümelin, herauskamen. So trat unser allverehrter, jüngst verstorbener Kanzler plötzlich als origineller Schriftsteller in den weiteren Literaturkreis zu der Zeit, als eine bewegte politische Laufbahn schon hinter ihm, dagegen der ehrenvolle Beruf, den er als Mann der Wissenschaft hier bei uns erfüllt hat, noch vor ihm lag. Die Tendenz der Shakespeare-Studien ging dahin, einer übertriebenen Verehrung Shakespeare's, namentlich wenn sie auf Kosten unserer eigenen großen Dichter- geltend gemacht wurde, Dämpfer aufzusetzen, nicht ihn überhaupt herabzusetzen. Seine Größe wird auch von Rümelin anerkannt, aber er sagt wenig zur Beleuchtung und Begründung derselben. Der Hauptinhalt des Buches besteht durchaus darin, Fehler und Schwächen an der Bildung und den Werken des großen Briten im Gegensätze besonders zu Goethe aufzudecken und nachzuweisen.
Um dieselbe Zeit erschien in demselben Morgenblatt noch eine Reihe von Artikeln über Shakespeare, auch von einem ungenannten, aber auch bis heute auf diesem Gebiete noch unbekannten Verfasser, der ebenfalls seitdem hier an unserer Universität als Lehrer eines ganz anderen Faches ansässig geworden ist. Dingelstedt veranstaltete damals in Weimar als Festfeier zum Shakespeare- Jubiläum eine zusammenhängende Aufführung der Dramenreihe aus der Geschichte
Deutsche Rundschau. XVIII, 4 . 5