Shakespeare's Königsdramen von Richard II. bis zu Richard III.
67
solcher doch nur eine untergeordnete Rolle spielt, weil wir aus den Werken der Dichter keine Geschichte lernen wollen, auch von den Dichtern nicht verlangen, daß sie es mit der historischen Wahrheit in ihren Werken genau nehmen, und das rein Menschliche die Hauptsache ist. Das ist Alles auch vollkommen richtig; aber wenn es das ist, dann muß ich sagen, finde ich keinen Grund, weshalb er selbst bei der näheren Besprechung der Königsdramen Shakespeare's so viel Werth darauf legt, daß dieselben als eine Art von „zusammenhängender Bildergalerie aus dem Leben der Könige und großen Barone von England" eben auch nur für die jungen englischen Aristokraten, für die sie in erster Linie bestimmt waren, gepaßt hätten, und daß dagegen so vieles Wichtige, was daneben zur Geschichte der Zeit gehört hätte, wie die Entwickelung der modernen bürgerlichen Freiheit durch die umAnn Otmrtu und durch das Aufblühen von Gewerbe und Handel, oder die moderne Kriegführung durch Massen von Fußvolk an der Stelle von ritterlichen Helden u. s. w., gar nicht vorkommt. Ich bin kein Historiker und kann nicht beurtheilen, ob diese Dinge überhaupt in die Darstellung dieser Geschichte Hineinpassen würden. Dahlmann sagt von der Zeit der Rosenkriege, am höchsten schlage er die Unterbrechung der stetig zur Freiheit fortschreitenden Entwicklung an. Aber dem sei, wie ihm sei, dramatisch wirksam war ohne Zweifel ein solcher Bürgerkrieg, der, auch nach Dahlmann's Ausdruck, „ein Menschenalter hindurch England verheerte, das königliche Haus verödete und mehr als die Hälfte des Adels fällte," gerade nur in Gestalt gewaltiger rein persönlicher Kämpfe der Großen mit rein menschlichen Thaten und Schicksalen, Leidenschaften und Charakteren. Die Hauptfrage ist und bleibt demnach, Was diese Dramen einfach als solche, als Werke der Kunst auf der Bühne sind und leisten, und das Urtheil hierüber hängt in erster Linie von dem subjectiven Urtheile des guten Geschmackes ab, ist aber zu begründen aus den allgemeinen Stilgesetzen der dramatischen Kunst. Ich gestatte mir daher zuvörderst, über diese mein Programm oder Glaubens- bekenntniß vorauszuschicken. Dies kann ziemlich kurz und bündig geschehen, denn ich habe keine neuen und überraschenden eigenen Ansichten vorzubringen, sondern stelle mich ebenso unentwegt auf den Boden der Gesetze, welche Lessing in seiner Dramaturgie ausgestellt hat, wie dieser selbst seiner Zeit versicherte, er fühle sich deshalb so sicher in seinen Ansichten, weil sie ganz die alten bewährten seien, wie sie Aristoteles begründet hat H.
Diese gute alte Poetik kennt zwei klassische Arten der Schauspielkunst mit zweierlei Wirkung aus den Zuschauer, welche durch dieselbe bezweckt und erreicht wird, Tragödie und Komödie. In der Tragödie werden große erschütternde Begebenheiten als Schicksale, welche die Menschen betreffen, dargestellt, und dadurch werden wir zum Mitleid mit den Menschen aufgeregt, verbunden mit der geheimen Angst, daß uns etwas Aehnliches im Leben auch einmal zustoßen könnte. Das Schicksal muß freilich kein roher, unmotivirter Zufall sein. Es muß seine Begründung in den Umständen und Personen, die davon betroffen werden, haben.
*) Auf demselben Boden stehe ich auch mit meinem Vortrage über „Anatomie oer Tragödie, mit Anwendung auf Schiller's Wallenstein", der gleichfalls zuerst 1864 im Stuttgarter Morgenblatte und jetzt von Neuem in der Sammlung meiner „Vorträge über Plastik, Mimik und Drama" (Rostock, W. Werther) erschienen ist.