Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

Sonst Würden wir statt des reinen Mitgefühles mit ihnen den ärgerlichen Ein­druck haben, als wenn es kein Recht und keine Gerechtigkeit in der Welt gäbe. Andererseits muß aber auch die Schuld an dem, was geschieht, nicht zu sehr in einer besonderen unglücklichen Charakteranlage der Menschen, die es betrifft, wie eine unvermeidliche Nothwendigkeit begründet sein. Sonst kann es uns zu wenig rühren, weil wir denken:wem nicht zu rathen ist, dem ist nicht zu helfen" und weil es uns dann nicht einfällt, daß uns so etwas auch hätte zustoßen können. Also müssen die Charaktere in der Tragödie nicht zu eigenthümlich sein, sondern so viel mehr nur allgemein menschliche Anlagen haben, daß sich Jeder nicht allzu schwer in sie hineindenken kann.

In der Komödie dagegen wiegt entschieden die eigenartige Charakterisirung der Personen vor und erregt uns zu dem Interesse, welches wir daran nehmen, die Verschiedenheit der Menschen und die Beständigkeit der Einzelnen in ihrer Eigentümlichkeit zu beobachten. Daneben darf dann die Handlung oder Be­gebenheit keine zu bedeutende oder aufregende Rolle spielen, muß mehr nur die Gelegenheit bieten, wobei sich die Charaktere in ihrer Eigentümlichkeit offen­baren. Sonst würden sie unsere Theiluahme zu sehr in Anspruch nehmen, uns am Ende doch vergessen lassen, was uns an den Personen ausfällt, da wir aus Anteilnahme doch wieder mehr nur die Menschen in ihnen sehen würden. Die Sonderlinge fallen Wohl hie und da einmal tüchtig hinein, und das gönnt man ihnen auch einigermaßen; aber sie kommen doch am Ende mit einem blauen Auge davon, wie der Geizige bei Moliäre oder selbst Shylock bei Shakespeare, und die gesunden Naturen, die sie umgeben, kommen immer gut weg und freuen sich ihres Lebens.

In der Tragödie liegt also der Schwerpunkt der Wirkung in der Handlung, in der Komödie im Charakter; in der Tragödie ergreift es uns, zu sehen, was durch das Schicksal aus dem Menschen werden kann, in der Komödie ergötzt es uns, wie sich sein Charakter doch am Ende immer gleich bleibt. Oder, wie Lessing es ausgedrückt hat:ähnliche Situationen geben also ähnliche Tragödien, aber nicht ähnliche Komödien; hingegen geben ähnliche Charaktere ähnliche Komödien, anstatt daß sie in den Tragödien fast gar nicht in Erwägung kommen." Diese Definitionen stimmen nun freilich nicht ganz mit dem gewöhnlichen Sprach- gebrauche überein, wenn wir statt Tragödie das deutsche Wort Trauerspiel und statt Komödie Lustspiel setzen. Denn bei diesen Worten denkt man meist nur an den Ausgang der Begebenheit. Im Trauerspiel ermorden sie sich am Ende, im Lustspiel kriegen sie sich. Aber dies stimmt in der Regel doch ganz gut mit dem Obigen zusammen. Denn wenn ein Mensch von erschütternden Ereignissen stark betroffen und mitgenommen ist, so bleibt am Ende kaum ein fertigerer Ab­schluß der Geschichte übrig, als daß er auch mit dem Leben abschließt. In der Wirklichkeit hält freilich Mancher Manches aus und lebt doch wieder weiter; aber wenn wir von einem Unglück recht erfüllt sind, können wir uns dies nicht recht denken. Dagegen wenn die Menschen mit all' ihren Eigentümlichkeiten und nach allen Verwicklungen doch am Platze bleiben, so ist es immer die gang­barste Besiegelung einer solchen unverwüstlichen Fortsetzung ihres bisherigen Lebens­laufes, daß sich zwei zusammen thun, und so schließen eben deshalb gewöhnlich