Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

auf unsere Empfindungen rein herauskommen, die in der Wirklichkeit durch ihre regellose Abwechselung einander gegenseitig aufheben. Er verwirft deshalb im Allgemeinen die Verbindung oder Mischung mehrerer derselben in der Kunst nebeneinander als den Zwecken der Kunst widersprechend und läßt sie nur inso­weit zu, als sie sich einander nicht stören und aufheben, sondern vielmehr zu­weilen auch unterstützen, indem das Eine durch das Andere gehoben wird, oder beide im Verlaufe einer Handlung aus einander hervorgehen. Damit läßt sich schließlich doch Vieles rechtfertigen, und es ist nur die Grenze schwer zu ziehen, und daraus erklärt sich dann, daß sich Lessing keineswegs so ganz auf den modernen Standpunkt unbedingter Bewunderung Shakespeare's stellt, wie zuweilen.be­hauptet wird, ihm aber doch nachrühmt, daß er sich oft über Regeln hinwegsetzt und doch den Zweck derselben erreicht. Ich habe dies durch eine kritische Zusammen­stellung aller auf Shakespeare bezüglichen Stellen in der Hamburgischen Dramaturgie, die auch im Morgenblatt 1865 erschienen ist, nachzuweisen versucht.

Die Spanier, an welche auch Lessing seine Betrachtungen anknüpft und welche heutzutage wieder in die Mode kommen, haben diese Mischung von tragischen und komischen Motiven und Dramen zuerst gemacht, wie z. B. in dem Richter von Zalamea", der jetzt an mancher Bühne gespielt wird und zur Hälfte eine reine Komödie ist, zur andern in eine entschieden tragische Verwickelung ausläust. Aber vor Allem ist es doch bekanntlich Shakespeare, der auch in der Tragödie mit der Charakteristik viel weiter geht, als vor ihm Brauch war, und die ernsten, wichtigen, spannenden Begebenheiten in Tragödie und Komödie viel stärker miteinander mischt. Dennoch ist, das kann man behaupten, in seinen reinsten und schönsten Werken Alles so geordnet, daß stets die eine Art des Ein­drucks vorwiegt und zu einer einheitlichen Totalwirkung führt, also doch elastische Tragödien oder Komödien herauskommen, und die Bedingung erfüllt ist, an welche Lessing die ästhetische Berechtigung gemischter Effecte geknüpft hat. Freilich im Hamlet und Wohl auch König Lear ist die eigenartige, ja man kann sagen pathologische Charakteristik der Hauptperson so gesteigert und daraus ein unglückliches Schicksal gegründet, daß wir weder zu einem reinen Mitgefühl noch zu einem objectiven Interesse am Charakter gelangen. Man kann solche Stücke in der That, wenn man an dem alten Schulbegriffe festhalten will, nur Komödien mit tragischem Ausgang nennen, und sie werden immer Ausnahmen von allen Regeln rein künstlerischer Wirkung auf den Zuschauer bleiben. Aber die meisten Hauptpersonen der Tragödien auch von Shakespeare sind von Natur nicht unglücklich angelegte, sondern nur hoch und sein gestimmte Naturen, die erst durch unglückliche Verwickelungen aus der Bahn des zusriedenen Lebens gerissen werden. Der edle Mohr Othello z. B. ist keineswegs von Natur ein Ausbund von Anlage zur Eifersucht, im Gegentheil eine offene, vertrauende Natur, und nur durch schwierige Verhältnisse und die schändlichsten Ränke eines durchtriebenen Hallunken wird er verhängnißvoll getäuscht und in eine thörichte Leidenschaft verrannt. Sowie das Unglück geschehen ist, fallen ihm wieder die Schuppen von den Augen, und das Unabänderliche treibt ihn nun zur Ver­zweiflung. In den Komödien dagegen bleibt meist die Handlung so leicht und spielend geschürzt, daß sie nur den Faden der Erlebnisse abgibt, an dem die heitere Charakteristik der Personen aufgereiht und angeknüpft ist.