Neue Briefe von Gentz.
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hörten, beinahe erbittert an; der Schüler Kant's, der Sohn des achtzehnten Jahrhunderts, empört sich in ihm gegen die Zumuthungen, die jene an die Vernunft des Menschen stellten. Die Rede Pasfy's, die Anlaß zu dieser Auseinandersetzung gab, war entweder die 18 31 unter dem Titel „Glaube, Hoffnung, Liebe" erschienene, oder, was noch wahrscheinlicher ist, die über das „Reich des Lichtes", die das Jahr darauf gedruckt wardH. In eines dieser beiden Jahre fällt danach unser Brief ganz gewiß.
IV. 2 )
24. April (1831).
Wenn die Bekehrung des Herrn von Meysenbug das Werk seiner eigenen, reinen Ueberzeugung war, so wünsche ich ihm Glück dazu.
Den Verfasser der Rede halte ich keineswegs für einen „dummen Ignoranten", wohl aber für einen in den Kirchenglauben so ausschließend Versunkenen, daß er für Alles, was außerhalb liegt, stockblind geworden ist. Ich mache ihm nicht zum Vorwurf, daß er das Reich dieses Kirchenglaubens das Reich des Lichtes nennt; ihm erscheint es so, und ich selbst gebe zu, daß Christus durch die Richtung auf das Geistige und Ewige, die er den Menschen zu geben suchte, ein neues Licht angezündet hat, so sehr dasselbe auch feit den ersten Jahrhunderten der Kirche durch abgeschmackte und unwürdige Menschensatzungen verdunkelt und denaturirt worden ist. Was ich aber Herrn Passy nicht verzeihe, ist, daß er jede andere Thätigkeit des menschlichen Geistes ins Reich der Finsterniß verweiset und die natürliche Entwicklung der Fähigkeiten als einen immer tieferen Fall in dies Reich der Finsterniß bezeichnet!
Ueberhaupt ist mir bei dieser Rede die unübersteigliche Kluft, welche heute einen Theil der christlichen Gesellschaft von dem anderen scheidet, wieder recht anschaulich geworden. Ich gehöre gewiß nicht zu den positiven Feinden der Kirche und habe noch nie Jemanden von seinem Glauben abwendig gemacht. Wenn ich aber einen Menschen sagen höre: „Die heilige Kirche stehe auf der Stärke der Sieben Hügel st adt gegründet (!) — einer blühenden Jungfrau ähnlich!! — ewig jung und schön!!!" so begreife ich nicht, wie selbst ein Neophyt, der doch einigermaßen weiß, wie es in der Welt steht, dies gläubig aufnehmen könnte. — Und wenn ich folgende Worte lese: „Bedürfen Sie eines Stachels, der Sie ansporne, sich in Reinheit des Gewissens zu erhalten, so hält sie Ihnen die ewige Verdamm niß vor Augen" — so wird mir wie beim Anblick einer gräßlichen Mumie, die man nach zwei- oder dreitausend Jahren aus einem ägyptischen Grabmal zieht.
Das Wort ewige Verdammniß sollte aus allen Sprachen verbannt werden. Außer einigen alten Weibern glaubt ohnehin Niemand mehr daran, und es ist eine zu unsinnige, zu empörende, zu frevelhafte Lehre, daß ein Mensch, weil er in diesem kurzen Leben gesündigt und zufällig keine Priesterabsolution erhalten hat, dafür ewig gestraft werden soll. Dies war weder Juden noch Heiden eingefallen; der Gott der Christen war der erste, den man mit diesem tyrannischen Gesetze bekleidete.
G entz.
Die folgenden zwei Billets verrathen schon durch die Angabe des Ortes, wo sie geschrieben wurden, das fehlende Jahresdatum. In Schönbrunn hat Gentz nur einmal gewohnt, im Jahre 1831, da in Wien die Cholera ausgebrochen war. Am 11. August desselben Jahres berichtete er darüber entsetzt feinem jungen Freunde Prokesch: „Es ist . . . beschlossen, daß, wenn die Cholera den leider schon ziemlich nahen Cordon, der uns von dem angesteckten Ungarn trennt, überschreiten sollte, der Kaiser, der Fürst Metternich, das nöthige Geschäftspersonal und sogar ein Theil des diplomatischen Corps sich in Schönbrunn ein quartieren, und dort, von aller Welt abgesperrt, so lange
1) Nach Wurzbach's Angaben im Biographischen Lexikon des Kaiserthums Oesterreich.
2) Original.