106
Deutsche Rundschau.
Noch unschicklicher ist es, das Wort aus lauge declamatorische Stellen anwenden zu wollen, wie Sie heute mit einer Rede des Herrn Peyronnet gethan haben, die übrigens im Munde des Erfinders der neuen Preßgesetzgebung seltsam genug klingt.
Gentz.
In einer Rede von Frönilly kommt die einfache, aber vortreffliche Bemerkung vor, daß es sich eigentlich bei diesen Debatten nicht um die Freiheit der Presse, sondern um die Herrschaft der Presse handle.
Das nenne ich allenfalls eine Sentenz, welches Sie durch das übel angebrachte Wort Axiom vermuthlich ausdrücken wollten.
Dieser Brief bedarf einer Erklärung. Eben damals, im Februar 1827, tobte in der französischen Kammer der Streit um das Preßgesetz. In den Berichten, die der „Beobachter" hierüber brachte, waren vornehmlich die Reden der royalistischen Depu- tirten berücksichtigt, einzelne Stellen, die der Redaction die politischen Grundsätze der Partei, und also auch ihre eigenen, schlagend auszusprechen schienen, unter einer besonderen Rubrik mitgetheilt: so finden wir in der Nummer vom 4. März aus der Rede des Herrn Curzah den Satz: „Sobald irgend etwas eine gewisse Faction verletzt, so präludirt sie mit Petitionen, welche sie bestellt, und endigt mit Jnsurrectionen, welche sie besoldet," oder: „Auch das Volk hat seine Höflinge und Schmeichler."
„Axiome" kann man dergleichen freilich nicht nennen, aber wir finden nicht, daß der „Beobachter" diese Bezeichnung gebraucht; vielleicht hat sie Pilat in einem gleichzeitigen Brief verwendet?
Die Auszüge schließen bereits mit der Nummer vom 7. März.
Von einem Schreiben, dessen genaue Datirung uns nicht gelungen ist, das aber jedenfalls aus den letzten zwanziger Jahren stammt, theilcn wir nur den Eingang mit, weil er einige interessante Personalnotizen enthält. Wir bemerken gleich hier, daß Joses Acerbi von Castel Goffredo in Alexandria, Peter Questiaux in Smyrna und Friedrich Leopold von Hauenschild aus Corsu österreichische Generalconsuln waren. Ihren Namen begegnen wir häufig auch in anderen Gentzffchen Briefen der Zeit.
III. H
Hierbei die Berichte aus Constantinopel. Bei Weitem das Interessanteste sind die Berichte von Acerbi und Questiaux, von welchen Sie gestern — ich weiß nicht warum — sehr despectirlich sprachen. Acerbi's^) Bericht ist eben kein Meisterwerk von Schreibart, doch sein Empfang in Alexandria recht pittoresk. An Questiaux haben wir einen trefflichen praktischen Geschäftsmann gewonnen; dieser einzige, kurze Bericht hat in meinen Augen mehr Werth als ein ganzer Jahrgang Hauenschildffcher Poesie.
Der folgende Brief, Wohl der interessanteste unserer Sammlung, führt uns in die religiösen Controversen, die Gentz sowohl mit Pilat wie mit Adam Müller gerne pflegte. Beide Freunde waren katholisch, der Eine von Haus aus, der Andere als Konvertit; beide bemühten sich wiederholt, den Protestanten Gentz zu bekehren. Dieser aber hat ihre Versuche immer zurückgewiesen: ihm fehlte, so wendete er ein, der Glaube! 3). Nun hören wir ihn nicht nur wieder aus das Entschiedenste sich in eben diesem Sinne aussprechen: er greift sogar die Anwälte des orthodoxen katholischen Christenthums, zu denen Pilat und Müller ebenso wie der Geistliche Anton Passy ge-
I Abschrift.
2) In unserer Abschrift steht „Accurti's"; dies dürfte aber wieder ein Versehen des Kopisten sein.
b) S. hierüber meinen Artikel in der Beilage zur „Allgemeinen Zeitung", München, 5. Juni 1891, „Religiöses Leben in Wien —1830", I.