Neue Briefe von Gentz
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Neigung, sich an die Spitze der Letzteren zu stellen, wenn sie ihn nur anerkennen wollen. Viele Stellen sind so dunkel, daß ich Sie nicht verstanden habe.
Weit mehr wird Sie der Artikel von Börne über seine Censur-Streitigkeiten unterhalten. Er ist voll Witz und enthält viel treffende Wahrheiten, auch sehr lustige Anekdoten, die Ihnen besonders Spaß machen werden. Seine Aeußerungen über das österreichische System sind sehr merkwürdig und verdienen ernsthaft erwogen zu werden.
—G.
Hieran reihen wir ein undatirtes Schreiben aus dem Jahre 1827: die Stelle über Lord Liverpool verräth uns das Datum: denn dieser war im Juni 1770 geboren, stand also zwischen 1826 und 1827 in seinem siebenundsünfzigsten Jahr. Im Februar 1827 ist er einem Schlaganfall erlegen, und dies gab eben dem „Beobachter" Anlaß, ausführlich von seiner Person zu sprechen; in der Nummer vom 4. März (wohl am 3. Abends bereits ausgegeben) findet sich die von Gentz gerügte Angabe, der Lord stehe im 76. Jahr (nicht im 57).
H-')
Wie Sie mit dem Fürsten über meine dumme Gutmüthigkeit lachen mögen! „Er klagt und tobt, zuletzt aber schreibt er, wenn man nur nicht losläßt." ^'Importe! Ich liefere hier ab, was ich einmal versprochen hatte. Viel Ehre werde ich nicht damit einlegen. Die rechten Liebhaber werden diesen Eingang kalt, der Fürst vielleicht pedantisch, exeusatio non petita u. s. w. finden. Aber — si poputus ms sibilat, 6M midi plauäo — auch lateinische Verse zu citiren höre ich nie auf, obgleich Canning es thut — midi plauäo (beinahe werde ich ein Fürst Dietrichstein) über die Geschicklichkeit, mit welcher ich Cobetlls Schwert über dem Haupte des Verbrechers aushänge, ohne es jedoch fallen zu lassen. Zuletzt kommen wir doch noch bis zur Höhe des Cobett.
Daß Lord Liverpool 76 Jahre alt sei, ist ein grober Fehler im heutigen Beobachter. Er ist in seinem 57. Jahre.
Ich wünsche, daß Sie sich von der lächerlichen Rubrik der sogenannten Axiome baldigst losmachen mögen. Die Auswahl scheint mir überdies nicht glücklich zu sein. Und wer fragt nach Herrn von Rongä und von Curzay H. Gentz.
Ich habe gestern Abend, da der Fürst bei mir war, auf das Wort Axiom zu sticheln begonnen, mochte aber nicht zu weit gehen, weil zufällig auch Müller dabei saß. Da ich es ihm indeß nicht gern schenken möchte, so sehen Sie zu, ob Sie ihm dono moäo die beiliegende Note appliciren können, wohl zu verstehen, als ob ich Sie gestern gleich nach der Lectüre des Beobachter geschrieben hätte. (I§L. Beilage zu dem vorstehenden Brief.)
Sonnabend 3. März.
Das Wort Axiom ist bei Ihren Auszügen aus den französischen Blättern übel angebracht.
Axiome sind (im System des Euklides, als woher das Wort stammt) Sätze, die ihre Wahrheit in sich selbst tragen und keines Beweises bedürfen, zum Unterschied von Theoremen, welche demonstrirt werden müssen. Der Satz: „daß die gerade Linie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten sei", ist ein Axiom; der, daß in jedem rechtwinkeligen Dreieck das Quadrat der Hypothenuse dem der beiden Katheten gleich sei, ist ebenso unumstößlich gewiß, und doch kein Axiom.
Im Felde der moralischen Wissenschaften muß man mit dem Worte Axiom sehr- behutsam umgehen. Daß es kein besseres Mittel zur Beschränkung der Preßliceuz gibt als Censur, hat gewiß in meinen Augen den Werth einer evangelischen Wahrheit; ein Axiom ist es aber durchaus nicht.
0 Abschrift.
2) In der Abschrift steht Curpayl; es ist ein Fehler des Copisten.