Frau Jenny Treibet.
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Du hast Unrecht. Freilich, man mutz was leisten, die Uüoäus, die salta; aber Wer springen kann, der springt, gleichviel ob er's aus der Georgia Augustm oder ans der Klipp-Schule hat. Im Uebrigen will ich abbrechen; am wenigsten Hab' ich Lust, Dich mit Schliemann zu ärgern, der von Anfang an Deine Renonce war. Die Bücher liegen hier bloß wegen Friedeberg, den ich der beigegebenen Zeichnungen halber fragen will. Ich begreife nicht, daß er nicht kommt, oder richtiger nicht schon da ist. Denn daß er kommt, ist unzweifelhaft, er hätte sonst abgeschrieben, artiger Mann, der er ist."
„Ja, das ist er," sagte Etienne, „das hat er noch aus dem Semitismus mit 'rüber genommen."
„Sehr wahr," fuhr Schmidt fort, „aber wo er's her hat, ist am Ende gleichgültig. Ich bedauere mitunter, Urgermane, der ich bin, daß wir nicht auch irgend welche Bezugsquelle für ein bischen Schliff und Politesse haben; es braucht ja nicht gerade dieselbe zu sein. Diese schreckliche Verwandtschaft zwischen Teutoburger Wald und Grobheit ist doch mitunter störend. Friedeberg ist ein Mann, der, wie Max Piccolomini — sonst nicht gerade sein Vorbild, auch nicht 'mal in der Liebe — der „Sitten Freundlichkeit" allerzeit cultivirt hat, und es bleibt eigentlich nur zu beklagen, daß seine Schüler nicht immer das richtige Verständniß dafür haben. Mit anderen Worten, sie spielen ihm auf der Nase . . ."
„Das uralte Schicksal der Schreib- und Zeichenlehrer . . ."
„Freilich. Und am Ende muß es auch so gehen und geht auch. Aber lassen wir die heikle Frage. Laß mich lieber auf Mykenä zurückkommen und sage mir Deine Meinung über die Goldmasken. Ich bin sicher, wir haben da ganz 'was Besonderes, so das recht Eigentlichste. Jeder Beliebige kann doch nicht bei seiner Bestattung eine Goldmaske getragen haben, doch immer nur die Fürsten, also mit höchster Wahrscheinlichkeit Orest's und Jphigenien's unmittelbare Vorfahren. Und wenn ich mir dann vorstelle, daß diese Goldmasken genau nach dem Gesicht geformt wurden, gerade wie wir jetzt eine Gips- oder Wachsmaske formen, so hüpft mir das Herz bei der doch mindestens zulässigen Idee, daß dies hier" — und er wies auf eine ausgeschlagene Bildseite — „daß dies hier das Gesicht des Atreus ist oder seines Vaters oder seines Onkels ..."
„Sagen wir seines Onkels."
„Ja, Du spottest wieder, Distelkamp, trotzdem Du mir doch selber den Spott verboten hast. Und das Alles bloß, weil Du der ganzen Sache mißtraust und nicht vergessen kannst, daß er, ich meine natürlich Schliemann, in seinen Schuljahren über Strelitz und Fürstenberg nicht 'raus gekommen ist- Aber lies nur, was Virchow von ihm sägt. Und Virchow wirst Du doch gelten lassen."
In diesem Augenblicke hörte man draußen die Klingel gehen. „Ah, 1uxu8 in tabula. Das ist er. Ich Wußte, daß er uns nicht im Stiche lassen Würde..."
Und kaum, daß Schmidt diese Worte gesprochen, trat Friedeberg auch schon herein, und ein reizender, schwarzer Pudel, dessen rothe Zunge, wahrscheinlich von angestrengtem Laufe, weit heraushing, sprang auf die beiden alten Herren zu und umschmeichelte abwechselnd Schmidt und Distelkamp. An Etienne, der ihm zu elegant war, wagte er sich nicht heran.