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Deutsche Rundschau.
Es ist damit wie mit dem Glauben. Es ist nicht nöthig, daß das Richtige geglaubt wird, aber daß überhaupt geglaubt wird, darauf kommt es an. In jedem Glauben stecken geheimnißvolle Kräfte und ebenso in der Autorität."
Schmidt lächelte. „Distelkamp, ich kann da nicht mit. Ich kann's in der Theorie gelten lasten, aber in der Praxis ist es bedeutungslos geworden. Gewiß kommt es auf das Ansehen vor den Schülern an. Wir gehen nur darin auseinander, aus welcher Wurzel das Ansehen kommen soll. Du willst Alles auf den Charakter zurückführen und denkst, wenn Du es auch nicht aussprichst: ,Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut, vertrauen Euch auch die anderen Seelen ck Aber, theurer Freund, das ist just das, was ich bestreite. Mit dem bloßen Glauben an sich, soder gar, wenn Du den Ausdruck gestattest, mit der geschwollenen Wichtigthuerei, mit der Pomposität ist es heutzutage nicht mehr gethan. An die Stelle dieser veralteten Macht ist die reelle Macht des wirklichen Wissens und Könnens getreten, und Du brauchst nur Umschau zu halten, so wirst Du jeden Tag sehen, daß Professor Hammerstein, der bei Spichern mit gestürmt und eine gewisse Premierlieuteuantshaltung von daher beibehalten hat, daß Hammerstein, sag' ich, seine Klasse nicht regiert, während unser Agathon Knurzel, der aussieht wie Mr. Punch und einen Doppelpuckel, aber freilich auch einen Doppelgrips hat, die Klasse mit seinem kleinen Raubvogelgesicht in der Furcht des Herrn hält. Und nun besonders unsere Berliner Juugens, die gleich weg haben, wie schwer Einer wiegt. Wenn einer von den Alten aus dem Grabe käme, mit Stolz und Hoheit augethau, und eine horticulturelle Beschreibung des Paradieses forderte, wie würde der fahren mit all' seiner Würde? Drei Tage später wär' er im Kladderadatsch, und die Jungens selber hätten das Gedicht gemacht."
„Und doch bleibt es dabei, Schmidt, mit den Traditionen der alten Schule steht und fällt die höhere Wissenschaft."
„Ich glaub' es nicht. Aber wenn es wäre, wenn die höhere Weltanschauung, d. h. das, was wir so nennen, wenn das Alles fallen müßte, nun, so laß es fallen. Schon Attinghansen, der doch selber alt war, sagte: ,Das Alte fällt, es ändert sich die Zeit/ Und wir stehen sehr stark vor solchem Umwandlungs- proceß, oder richtiger, wir sind schon drin. Muß ich Dich daran erinnern, es gab eine Zeit, wo das Kirchliche Sache der Kirchenleute war. Ist es noch so? Nein. Hat die Welt verloren? Nein. Es ist vorbei mit den alten Formen, und auch unsere Wissenschaftlichkeit wird davon keine Ausnahme machen. Sieh' hier . . und er schleppte von einem kleinen Nebentisch ein großes Prachtwerk herbei . . . „sieh' hier das. Heute mir zugeschickt, und ich werd' es behalten, so theuer es ist. Heinrich Schliemann's Ausgrabungen zu Mykenä. Ja, Distelkamp, wie stehst Du dazu?"
„Zweifelhaft genug."
„Kann ich mir denken. Weil Du von den alten Anschauungen nicht los willst. Du kannst Dir nicht vorstellen, daß Jemand, der Tüten geklebt und Rosinen verkauft hat, den alten Priamus ausbuddelt, und kommt er nun gar ins Agamemnon'sche hinein und sucht nach dem Schädelriß, aegisth'schen Angedenkens, so geräthst Du in Helle Empörung. Aber ich kann mir nicht Helsen,