Heft 
(1892) 70
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Frau Jenny Treibel.

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daß es überhaupt möglich sei, zu flüstern oder gar vorzusagen. Und außer seinem eigenen Sprechen, ich meine Weber's, war nichts hörbar als das Knistern, wenn die Horaz-Seiten umgeblättert wurden. Ja, Schmidt, das waren Zeiten, da verlohnte sich's, ein Lehrer und ein Director zu sein. Jetzt treten die Jungens In der Conditorei an einen heran und sagen:Wenn Sie gelesen haben, Herr Director, dann bitt' ich . .

Schmidt lachte.Ja, Distelkamp, so sind sie jetzt, das ist die neue Zeit, das ist Wahr. Aber ich kann mich nicht darüber ägriren. Wie waren denn, bei Lichte besehen, die großen Würdenträger mit ihrem Doppelkinn und ihren Pontacnasen? Schlemmer waren es, die den Burgunder viel besser kannten als den Homer. Da wird immer von alten, einfachen Zeiten geredet; dummes Zeug! sie müssen ganz gehörig gepichelt haben, das sieht man noch an ihren Bildern in der Aula. Nu ja, Selbstbewußtsein und eine steifleinene Grandezza, das Alles hatten sie, das soll ihnen zugestanden sein. Aber wie sah es sonst aus?"

Besser als heute."

Kann ich nicht finden, Distelkamp. Als ich noch unsere Schulbibliothek unter Aufsicht hatte, Gott sei Dank, daß ich nichts mehr damit zu thun habe, da Hab' ich öfter in die Schulprogramme hineingeguckt und in die Dissertationen undMüsse", wie sie vordem im Schwang waren. Nun, ich weiß Wohl, jede Zeit denkt, sie sei 'was Besonderes, und die, die kommen, mögen meinetwegen auch über uns lachen; aber sieh', Distelkamp, vom gegenwärtigen Standpunkt unseres Wissens, oder sag' ich auch bloß unseres Geschmacks aus, darf doch am Ende gesagt werden, es war etwas Furchtbares mit dieser Perrückengelehrsamkeit, und die stupende Wichtigkeit, mit der sie sich gab, kann uns nur noch erheitern. Ich weiß nicht, unter wem es war, ich glaube unter Rodegast, da kam es in Mode vielleicht weil er persönlich einen Garten vorm Rosenthaler hatte die Stoffe für die öffentlichen Reden und Aehnliches aus der Gartenkunde zu nehmen, und sieh', da Hab' ich Dissertationen gelesen über das Horticulturliche des Paradieses, über die Beschaffenheit des Gartens zu Gethsemaneh und über die muthmaßlichen Anlagen im Garten des Joseph von Arimathia. Garten und immer wieder Garten. Nun, was sagst Du dazu?"

Ja, Schmidt, mit Dir ist schlecht fechten. Du hast immer das Auge für das Komische gehabt. Das greifst Du nun heraus, spießest es auf Deine Nadel und zeigst es der Welt. Aber was daneben lag und viel wichtiger war, das lässest Du liegen. Du hast schon sehr richtig hervorgehoben, daß man über unsere Lächerlichkeiten auch lachen wird. Und wer bürgt uns dafür, daß wir nicht jeden Tag in Untersuchungen eintreten, die noch viel toller sind als die borticulturlichen Untersuchungen über das Paradies. Lieber Schmidt, das Ent­scheidende bleibt doch immer der Charakter, nicht der eitle, Wohl aber der gute, ehrliche Glaube an uns selbst. Lona üäs müssen wir Vorgehen. Aber mit unserer ewigen Kritik, eventuell auch Selbstkritik, gerathen wir in eine mala üäss hinein und mißtrauen uns selbst und dem, was wir zu sagen haben. Und ohne Glauben an uns und unsere Sache, keine rechte Lust und Freudigkeit und auch kein Segen, am wenigsten Autorität. Und das ist es, was ich beklage. Denn wie kein Heerwesen ohne Disciplin, so kein Schulwesen ohne Autorität.