Heft 
(1892) 70
Seite
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Deutsche Rundschau.

Ja, Was war's. Offen gestanden, meine Wissenschaft, zum wenigsten was unser gutes Kurbrandenburg anging, war nicht weit her, ist es auch jetzt noch nicht, und als ich so zu Hause saß und mich nothdürftig vorbereitete, da las ich denn wir waren gerade beim ersten König allerhand Biographisches und darunter auch 'was vom alten General Barsus, der, wie die meisten Damaligen, das Pulver nicht erfunden hatte, sonst aber ein kreuzbraver Mann war. Und dieser Barsus präsidirte, während der Belagerung von Bonn, einem Kriegsgericht, drin über einen jungen Osffcier abgeurtheilt werden sollte."

So, so. Nun, was war es denn?"

Der Abzuurtheilende hatte sich, das Mindeste zu sagen, etwas unheldisch benommen, und Alle waren für Schuldig und Todtschießen. Nur der alte Barsus Wollte nichts davon wissen und sagte:Drücken wir ein Auge zu, meine Herren» Ich habe dreißig Rencontres mitgemacht, und ich muß Ihnen sagen, ein Tag ist nicht wie der andere, und der Mensch ist ungleich und das Herz auch und der Muth erst recht. Ich habe mich manches Mal auch feige gefühlt. So lange es geht, muß man Milde walten lassen, denn Jeder kann sie brauchen."

Höre, Distelkamp," sagte Schmidt,das ist eine gute Geschichte, dafür dank' ich Dir, und so alt ich bin, die will ich mir doch hinter die Ohren schreiben. Denn weiß es Gott, ich habe mich auch schon blamirt, und wiewohl es die Jungens nicht bemerkt haben, wenigstens ist mir nichts ausgefallen, so Hab' ich es doch selber bemerkt und mich hinterher riesig geärgert und geschämt. Nicht wahr, Etienne, so 'was ist immer fatal; oder kommt es im Französischen nicht vor, wenigstens dann nicht, wenn man alle Juli nach Paris reist und einen neuen Band Maupassant mit heim bringt? Das ist ja Wohl jetzt das Feinste? Verzeih' die kleine Malice. Rindfleisch ist überdies ein kreuzbraver Kerl, Nomen st omsn, und eigentlich der Beste, besser als Kuh und namentlich besser als unser Freund Immanuel Schultze. Der hat's hinter den Ohren und ist ein Schlieker. Er grient immer und gibt sich das Ansehen, als ob er dem Bilde zu Sais irgend wie und wo unter den Schleier geguckt hätte, wovon er weit ab ist- Denn er löst nicht 'mal das Räthsel von seiner eigenen Frau, an der manches verschleierter oder auch nicht verschleierter sein soll, als ihm, dem Ehesponsen, lieb sein kann."

Schmidt, Du hast heute 'mal wieder Deinen medisanten Tag. Eben Hab' ich den armen Rindfleisch aus Deinen Fängen gerettet, ja, Du hast sogar Besserung versprochen, und schon stürzest Du Dich wieder auf den unglücklichen Schwiegersohn. Im klebrigen, wenn ich an Immanuel Etwas tadeln sollte, so läge es nach einer ganz anderen Seite hin."

Und das wäre?"

Daß er keine Autorität hat. Wenn er sie zu Hause nicht hat, nun, traurig genug. Indessen das geht uns nichts an. Aber daß er sie, nach Allem, was ich höre, auch in der Klasse nicht hat, das ist schlimm. Sieh', Schmidt, das ist die Kränkung und der Schmerz meiner letzten Lebensjahre, daß ich den kategorischen Imperativ immer mehr hinschwinden sehe. Wenn ich da an den alten Weber denke! Von dem heißt es, wenn er in die Klasse trat, so hörte man den Sand durch das Stundenglas fallen, und kein Primaner wußte mehr.