Frau Jenny Treibel. 1 FZ
dafür, daß Unvollständigkeit der Versammlung die Regel war und nicht mehr ausfiel.
Heute aber schien es sich schlimmer als gewöhnlich ^gestalten zu wollen. Die Schmidt'sche Wanduhr, noch ein Erbstück vom Großvater her, schlug bereits halb, halb neun, und noch war Niemand da außer Etienne, der, wie Marcell, zu den Intimen des Hauses zählend, kaum als Gast .und Besuch gerechnet wurde.
„Was sagst Du, Etienne," wandte sich jetzt Schmidt an diesen, „was sagst Du zu dieser Saumseligkeit? Wo bleibt Distelkamp? Wenn auch auf den kein Verlaß mehr ist (-die Douglas waren immer treufl, so geht der -AbeniL aus den Fugen, und ich werde Pessimist und nehme für den Rest meiner Tage Schopenhauer und Eduard von Hartmann untern Arm."
Während er noch so sprach, ging draußen die Klingel, und einen Augenblick später trat Distelkamp ein.
„Entschuldige, Schmidt, ich habe mich verspätet. Die Details erspar' ich Dir und unserem Freunde Etienne. Auseinandersetzungen, weshalb man zu spät kommt, selbst wenn sie wahr, sind nicht viel besser als Krankengeschichten. Also lassen wir's. Inzwischen bin ich überrascht, trotz meiner Verspätung immer noch der eigentlich Erste zu sein. Denn Etienne gehört ja so gut wie zur Familie. Die Großen Kurfürstlichen aber! Wo sind sie? Nach Kuh und unserem Freunde Immanuel frag' ich nicht erst, die sind bloß ihres Schwagers und Schwiegervaters Klientel. Rindfleisch selbst aber — wo steckt er?"
„Rindfleisch hat abgeschrieben; er sei heut' in der -Griechischen^."
„Ach, das ist Thorheit. Was will er in der Griechischen? Die sieben Waisen gehen vor. Er findet hier wirklich mehr."
„Ja, das sagst Du so, Distelkamp. Aber es liegt doch Wohl anders. Rindfleisch hat nämlich ein schlechtes Gewissen, ich könnte vielleicht sagen: 'mal Wieder ein schlechtes Gewissen."
„Dann gehört er erst recht hierher; hier kann er beichten. Aber um was handelt es sich denn eigentlich? Was ist es?"
„Er hat da 'mal wieder einen Schwupper gemacht, irgend 'was verwechselt, ich glaube Phrynichos den Tragiker mit Phrhnichos dem Lustspieldichter. War es nicht so, Etienne? (dieser nickte) und die Secundaner haben nun mit lirum larum einen Vers auf ihn gemacht ..."
„Und?"
„Und da gilt es denn, die Scharte, so gut es geht, wieder auszuwetzen, wozu die -Griechische^ mit dem Lustre, das sie gibt, das immerhin beste Mittel ist."
Distelkamp, der sich mittlerweile seinen Meerschaum angezündet und in die Sophaecke gesetzt hatte, lächelte bei der ganzen Geschichte behaglich vor sich hin und sagte dann: „Alles Schnack. Glaubst Du's? Ich nicht. Und wenn es zuträse, so bedeutet es nicht viel, eigentlich gar nichts. Solche Schnitzer kommen immer vor, passiren Jedem. Ich will Dir 'mal was erzählen, Schmidt, was, als ich noch jung war und in Quarta brandenburgische Geschichte vortragen mußte — was damals, sag' ich, einen großen Eindruck auf mich machte."
„Nun, laß hören. Was war's?"
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