Heft 
(1892) 70
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Deutsche Rundschau.

selbst noch Wunderdinge davon gesehen, aber sreilich nichts in Vergleich zu dem, was die Leute von alten Zeiten her erzählten. Damals, vor hundert Jahren, oder vielleicht auch noch länger, gab es so viele Krebse, daß sie durchs ganze Bruch hin, wenn sich im Mai das Ueberschwemmungswasser wieder verlief, von den Bäumen geschüttelt wurden, zu vielen Hunderttausenden."

Dabei kann einem ja ordentlich das Herz lachen," sagte Etienne, der ein Feinschmecker war.

Ja, hier an diesem Tisch; aber dort in der Gegend lachte man nicht darüber. Die Krebse waren wie eine Plage, natürlich ganz entwerthet, und bei der dienenden Bevölkerung, die damit geatzt werden sollte, so verhaßt und dem Magen der Leute so widerwärtig, daß es verboten war, dem Gesinde mehr als dreimal wöchentlich Krebse vorzusetzen. Ein Schock Krebse kostete einen Pfennig."

Ein Glück, daß das die Schmolle nicht hört," warf Schmidt ein,sonst würd' ihr ihre Laune zum zweiten Male verdorben. Als richtige Berlinerin ist sie nämlich für ewiges Sparen, und ich glaube nicht, daß sie die Thatsache ruhig verwinden würde, die Epoche von,ein Pfennig pro Schock^ so total ver­säumt zu haben."

Darüber darfst Du nicht spotten, Schmidt," sagte Distelkamp.Das ist eine Tugend, die der modernen Welt, neben vielem Anderen, immer mehr ver­loren geht."

Ja, da sollst Du Recht haben. Aber meine gute Schmolle hat doch auch in diesem Punkte 1s8 äetnuw äs 868 vsrtu8. So heißt es ja Wohl, Etienne?"

Gewiß," sagte dieser.Von der George Sand. Und fast ließe sich sagen ,1s8 clätaut8 äs 868 vertut und -eomxrsnärs e's8t xaräonnsw das sind so recht eigentlich die Sätze, wegen deren sie gelebt hat."

Und dann vielleicht auch von wegen dem Alfred de Müsset," ergänzte Schmidt, der nicht gern eine Gelegenheit vorübergehen ließ, sich, aller Klassicität unbeschadet, auch ein modern-literarisches Ansehen zu geben.

Ja, wenn man will, auch von wegen dem Alfred de Müsset. Aber das sind Dinge, daran die Literaturgeschichte glücklicherweise vorübergeht."

Sage das nicht, Etienne, nicht glücklicherweise, sage leider. Die Geschichte geht fast immer an dem vorüber, was sie vor Allem festhalten sollte. Daß der alte Fritz am Ende seiner Tage dem damaligen Kammergerichtspräsidenten, Namen Hab' ich vergessen, den Krückstock an den Kops warf, und was mir noch Wichtiger ist, daß er durchaus bei seinen Hunden begraben sein wollte, weil er die Menschen, diese ,mechante Rassed so gründlich verachtete sieh', Freund, das ist mir mindestens ebenso viel Werth wie Hohenfriedberg oder Leuthen. Und die berühmte Torgauer Ansprache, ,Rackers, wollt ihr denn ewig leberll, geht mir eigentlich noch über Torgau selbst."

Distelkamp lächelte.Das sind so Schmidtiana. Du warst immer fürs Anekdotische, fürs Genrehafte. Mir gilt in der Geschichte nur das Große, nicht das Kleine, das Nebensächliche."

Ja und nein, Distelkamp. Das Nebensächliche, so viel ist richtig, gilt nichts, wenn es bloß nebensächlich ist, wenn nichts drin steckt. Steckt aber was drin, dann ist es die Hauptsache, denn es gibt Einem dann immer das eigentlich Menschliche."