Ein Jahr bei dm Ajaris.
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verwandelt hatten. Wir suchten das Haus des Gastfreundes Chalifa auf. Er hatte uns in dem Erdgeschoß eines leerstehenden Hauses mit Decken und Matratzen ein Zimmer belegen lassen. Da saßen wir nun, trockneten unsere nassen Kleider an einem Kohlenbecken und Vertrieben uns, so gut es ging, die Zeit im Gespräch mit einem, die Honneurs machenden dienstbaren Geiste. Die arabische „Diffa" oder Gastfreundschaft läßt, je anspruchsvoller sie ist, um so länger auf ihre Tasel- sreuden warten; die in dem dunkeln Steinverließ bei einem Oellicht Angebrachten Stunden waren lang, und die Kälte machte sich fühlbar. Erst um elf Uhr erschienen Diener mit einer langen hölzernen Bahre, aus der Schüssel an Schüssel mit den verschiedensten Gerichten standen. Alle mehr oder weniger aus denselben Ingredienzien zubereitet, zehnmal Hammelfleisch unter den verschiedensten Formen wurden zu gleicher Zeit angeboten, eine für den Europäer wenig angenehme Sitte. Denn da ihm eigentlich nichts wirklich schmeckt, kostet er an zehnerlei Speisen zugleich und verdirbt sich gänzlich den Appetit.
Nach Mitternacht suchten wir endlich auf einem harten Lager Ruhe. Am anderen Morgen weckte uns derselbe verzweifelnd unaufhaltsame Landregen, der nichts Gutes versprach. Bei Dunkelheit führte uns der Diener des Chalifen durch die noch schlafende Stadt zum Funduk. Der Wagen war schon bereit, ich stieg mit Tajeb ein und diesmal der Doctor auf das Maulthier, um den Rückweg nach der Hamada anzutreten. Ein bewaffneter arabischer Soldat sollte ihm den Weg über nähere Bergpsade weisen, und da er einige Stellen zu passiren hatte, die wegen straßenräuberischer Beduinen nicht ganz gefahrlos waren, so gab ich ihm den mitgenommenen Revolver ins Halfter.
Kaum waren die beiden Reiter im Morgennebel verschwunden und ich sah mich allein mit meinem jungen arabischen Begleiter unter Führung des unbekannten Kutschers, so kam mir mein Unternehmen aus einmal gewagt vor, und ich wäre gern umgekehrt. Aber Si-Hamda Peitschte lustig auf seine Pferde, und wir waren schon am Fuß des Berges angelangt.
Der Regen goß in Strömen, und der Weg wurde tiefer. Die Gegend, schön und malerisch, von wilder Romantik, hätte mein Auge unter anderen Umständen entzückt. Links hohe Felswände mit Grün bedeckt, rechts ein rauschender Gebirgsbach, an dem die Straße entlang führt. Bald hing der Wagen über einer Felskante hart am Abgrund, bald versank er im Schlamm des grundlosen Weges. An einer Furth fanden wir Kärrner mit ihren Pferden, deren Ladung im Wege lag neben den umgestürzten Karren. „Eilt Euch," riesen sie, „bald kann man nicht mehr durch den Fluß." Schäumend und donnernd schoß das graugelbe Wasser über die Felsblöcke, von Minute zu Minute schwellend, durch das Uebermaß der von allen Seiten zusließenden Bäche und Rinnsale — wir mußten mitten hindurchgehen. Tajeb und ich sahen uns schweigend an, klammerten uns fest, so gut es ging, als der Wagen sich erschreckend überbog und athmeten auf, als wir am anderen Ufer waren. Aber die Straße stieg stundenlang, sich am Abgrunde hinwindend, der Regen strömte fort, Gießbäche schossen vom Fels herab, unser Wagen blieb hart am Bergrand, wo das lose Erdreich, schon stellenweise abgestürzt, jeden Augenblick drohte in die Tiefe zu versinken. So vergingen sieben angstvolle Stunden, bis endlich die Höhe von Ain-Tunga erreicht war.
Deutsche Rundschau. XVIII, 5. 16