Heft 
(1892) 70
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Ein Jahr bei den Ajaris.

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glitt, der sich stark nach links senkte und nicht wieder aufrichtete. Wir lagen mitten auf der Landstraße, wie ein Wrack am Seestrande, das linke Hinterrad im Schlamm, neben der gebrochenen Achse. Es hals Alles nichts, wir mußten aussteigen und standen nun mit langen Gesichtern im Regen neben unserem un­glücklichen Gefährt. Der Jude nahm stillschweigend sein Bündel vom Bock und machte sich mit gleichgültigem Gesicht auf den Weg ins Städtchen, und auch Wir konnten nichts Besseres thun, als ihm durch Dick und Dünn folgen, während der Kutscher am Wagen zurückblieb. Nach viertelstündigem Marsch langten wir in trostlosem Aufzug wieder in Testour an, wo Tajeb einen Schmied suchen sollte, um eine neue Achse ins Rad einzufügen. Ich sah jedoch nur Ungewißheit und Zeitverlust vor uns und war entschlossen, beim Chalifa um Pferde zu bitten und sofort nach Medjez aufzubrechen. Denn wo sollte ich die Nacht zubringen, wenn der Wagen nicht fertig würde? Etwa im Funduk, wie die heilige Familie zu Bethlehem? Und was würden die Meinen sagen, die mich in Tunis er­warteten ?

Wir fragten uns bis zur Wohnung des Chalifa durch; man wies uns in eine offene Schreibstube am Marktplatz, wo wir, durchnäßt bis an die Knie, auf einer Steinbank den Würdenträger erwarteten. Endlich erschien er, ein langer Mann mit mürrischem, galligem Gesicht, frostig in seine Weißen Gewänder ge­wickelt und anscheinend wenig von dem Besuche erbaut, der ihn der Mittagsruhe entrissen hatte.

Herr," sagte ich höflich,ich reise allein und gehe nach Tunis, wo meine Familie mich erwartet. Mein Wagen ist zerbrochen und liegt vor dem Thore auf dem Wege. Gieb mir Pferde, daß ich mit dem Scheikssohne noch heute Abend bis Medjez komme."

Wir haben keine Pferde," War die Antwort,sie sind auf der Weide."

Dann schicke wenigstens einen Boten zum Telegraphen nach Medjez, daß ich Nachricht geben kann, wo ich blieb."

Wir haben keine Boten," und dabei setzte er sich kreuzbeinig in eine Ecke des Gemachs und versenkte sich in die Lectüre eines Schriftstückes, ohne auch nur im Geringsten von unserer Gegenwart weitere Notiz zu nehmen.

Zorn und Ungeduld stiegen mir zu Kopf über den Hochmuth dieses Bauern; ich stand auf, winkte Tajeb, mir zu folgen, und bemerkte dem Zurückbleibenden auf gut tunesisch denn der Aerger löst die ZungeDu bist Chalifa von Testour, aber hast nicht gelernt, was Deines Amtes ist. Ich kenne den Bey und seine Veziere, Du wirst nicht lange Chalifa bleiben."

Damit drehte ich dem ungastlichen Hause den Rücken, um mir selber zu helfen. Gegenüber im Kaffeehause hockte die Bürgerschaft dieses arabischen Schilda frierend bei Kaffee und Damenpartie; dorthin wendete ich mich. Wie soll ich die Scene ausmalen, als ich, an einem Kohlenbecken meine nassen Kleider trocknend, unter der ganzen männlichen Einwohnerschaft von Testour saß und meinem Zorn über ihren Vorgesetzten Luft machte! Die Damenspieler sahen von ihrem Brett auf, ein Kreis von Zuhörern umgab mich, laut den Vorfall discu- tirend, der Wirth erging sich in Aufmerksamkeiten und trieb sogar einen Stuhl für die Christin auf, die bei Allah und dem Propheten Bestrafung des verletzten