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Deutsche Rundschau.
langte sie einen Weihnachtsbaum, der vom Boden bis zur Decke reichte. Freude sollte herrschen. Mit den geringsten Mitteln aber ließ sich Herstellen, was sie erfreute. Sie sand überall Stoff zu erquickenden Gedanken. Das Aelteste konnte plötzlich das Neueste für sie werden. Es tauchte empor und die heutige Sonne bestrahlte es wieder.
Frau von Olfers besaß eine innere Welt, die ihr allein gehörte. In die sie Andere Wohl Hineinblicken ließ. Diese Theilnahme aber war keine Bedingung ihres Glücks. Ihr Denken ging immer eigene Wege. Mitten in ein lebhaftes Gespräch hinein, an dem sie Antheil nahm, fiel sie mit einer Bemerkung, welche zeigte, daß sie nebenbei ganz für sich noch andere Gedanken gehegt hatte. Solche Bemerkungen waren allgemeiner Art. Man empfand, sie beobachtete ununterbrochen und arbeitete an ihrer Weltanschauung. Sie hat Vieles niedergeschrieben in Prosa und in Versen. Es lag ihr auch daran, es mitzutheilen. Von literarischer Schriftstellerei aber war sie völlig entfernt. Sie wandte sich an ein ideales mitgenießendes Publicum, an dessen Existenz sie glaubte, aber mit dem in nähere Berührung zu treten kein Bedürfniß für sie war. Sie war eine Dichterin. Nicht im literarhistorischen Sinne. Ich meine nur so: suchen wir einen umfassenden Namen für ihre Existenz, so müssen wir sagen: sie dichtete.
Wir haben eine Zeit gehabt in Deutschland, wo die Nation dichtete: die Jahre vom Beginne unseres Jahrhunderts bis zum Tode Goethe's. Die Jahre, in die freilich die Kriege gegen Frankreich fielen, in denen Wenig trotzdem das innere Leben des Volkes unterbrach. Die Generation herrschte damals, die Goethes Alter umgab. Der goldene Hintergrund um seine herrschende Gestalt. Diese Umgebung hatte eigenen angeborenen Glanz. Ohne sie gewährte Goethe selbst den glorreichen Anblick nicht, den er bietet. Wenn wir Eckermanws Gespräche lesen, fliegt hier und da plötzliches Licht auf diese Menschen, die in Weimar sich begegneten, denen Theater, Musik, bildende Kunst und Wissenschaft zu einem Meere Zusammenflüssen, aus dem sie ihre Entdeckungsreisen machten. Wo wir in Briefen und Lebenserinnerungen aus jene Zeiten kommen, erschließt sich von irgend einer Seite her plötzlich die Aufsicht auf diese unbegrenzten Fluthen. Ich bin noch ausgewachsen unter Denen, die so mit Goethe gelebt hatten.
In der Literaturgeschichte heißt diese Zeit die Epoche der Romantiker. Goethe nannte sie in unmuthiger Härte einmal die der sorcirten Talente. Es lag etwas Gewaltsames darin, wie die Nation das politische Leben, das ihr versagt war, in der Vergangenheit fühlte. Dort war man zu Hause. Auf ihrem unbegrenzten Gebiete sand Jeder die Stelle, wo er für sich war und seine Träume schmiedete. Wo er dichtete wie Goethe.
Zum Dichten gehört, daß dem Menschen Bilder vor Augen stehen, daß er den Drang fühle, sie darzustellen, daß ihm Gedanken und Worte dafür sich zudrängen, daß er von Menschen umgeben sei, die ihn verstehen. Shakespeare war das reinste Phänomen eines Dichters. Die vier Elemente umgaben und erfüllten ihn in gleicher Stärke. Bei Goethe mangelte es zuweilen an innerem Drange und an äußerer Theilnahme, ebenso bei Dante: sie sind zugleich Gelehrte gewesen. Der Gelehrte sucht die Stellung zu bestimmen, die den einzelnen