Heft 
(1892) 70
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Giovanni Battista de Rossi.

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ihrer Antiquitäten, hingedränqt. Protestanten wie Katholiken mußten sich ver­anlaßt sehen, ihr Verhältniß zu der alten Kirche und deren Leben aus den Anti­quitäten zu erläutern. Denkmäler der frühesten Jahrhunderte gab es diesseits der Alpen nicht oder sehr wenige, und diese wenigen waren noch unbekannt. Es lag daher nahe, daß die wissenschaftliche Arbeit in der berührten Richtung sich ganz auf die schriftliche Hinterlassenschaft der ersten christlichen Jahrhunderte stützte. Die Leistungen der nordischen Wissenschaft bis herab aus die berühmten Tntiquities ok Oüristian Oüureü" des Anglicaners Bingham (1708 fs.) trugen alle diesen Charakter. Auch bei den katholischen Schriftstellern der Zeit waltete derselbe vor. Doch war es selbstverständlich, daß die Italiener den Mo­numenten früher und entschiedener ihre Aufmerksamkeit zuwandten. Ihr Land war selbst ein Monument des Alterthums. Baronius schrieb einen großen Theil seinerAnnalen" in jener kleinen, reizenden Villa zu Frascati, welche nur durch die Straße von der weltberühmten Villa Aldobrandini getrennt ist, in der später das 1606 beim Bogen des Gallienus gefundene antike Wandgemälde, die Aldobrandinische Hochzeit, bis 1818 ausgestellt war: von Denkmälern umgeben, lernte Baronius auf ihre Sprache achten. Noch zu seinen Lebzeiten trat jenes Ereig­niß ein, mit welchem sich die Erforschung der altchristlichen Monumente einleitete. Am letzten Mai 1578 stießen Arbeiter, welche an der Via Salaria nach Pozzolan- erde gruben, auf eine unterirdische Begräbnißstätte, welche sich unter ihnen aufthat und deren Wände mit Inschriften, Gemälden, Sculpturen christlichen Ursprungs ge­schmückt waren. An jenem Tage entstand Name und Wissenschaft derUonm sottsrrunea" desunterirdischen Rom". Baronius mochte die Bedeutung des Fundes ahnen; aber er war zu alt, um ihn zu verfolgen. In Rom lebende Fremde, wie Ciacconio, L'Heureux und de Winghe, waren die Ersten, welche die allmälig zu Tage tretenden Krypten und Galerien dieser seltsamen Todten- stadt untersuchten: dann aber kam in Antonio Bosio der eigentliche Entdecker derselben, der nun über dreißig Jahre seines Lebens diesem Studium sich widmete. Nach seinem Tode (1629) gab (1632) der Oratorianer Severano dessen großes Hauptwerk, dieRoma sotterrauea" heraus, in der die Topographie der Rom umgebenden unterirdischen Cömeterien der alten Christen untersucht, ihre Gemälde und Sculpturen beschrieben und abgebildet waren. Dieser grundlegenden Publi- cation Bosio's folgten im achtzehnten Jahrhundert diejenigen Bottari's, Boldetti's, Buonarrotti's u. A. Inzwischen wurden die Katakomben meist völlig planlos nach Reliquien der Märtyrer und nach Schätzen durchsucht, die meisten Fund­gegenstände ohne Controls verschleppt und zerstreut; die Forschung des achtzehnten Jahrhunderts selbst stand an Methode und Zuverlässigkeit weit hinter Bosio zurück.

Die Arbeit dieses Mannes und seiner nächsten Nachfolger konnte in keiner Weise eine abschließende sein, und es erklärt das zum Theil, wenn diesseits der Alpen sein Werk keinen nennenswerthen Einfluß aus den Betrieb der christlichen Archäologie ausgeübt hat. Es gab vor Winckelmann keine wissenschaftliche Kunst­geschichte; erst mit der sich an ihn anschließenden Ausbildung der elastischen Kunst­archäologie und dann mit dem Auftreten einer Mittelalter und Renaissance um­fassenden Kunstgeschichte konnte der Standpunkt gewonnen werden, von dem aus

Deutsche Rundschau. XVIII, 5. 18